Die Inzidenzen sinken, die Hoffnung wächst. Ich freue mich wieder auf das "normale" Leben! So höre ich oft. Normales Leben? Was war das nochmal? "Na, so wie vorher halt!" wird dann nachgeschoben. Zurück auf Los? Ob das noch geht?
Während unser Leben in den Lockdowns total verlangsamt wurde, sind wir in Lichtgeschwindigkeit in eine - wie immer - ungewisse Zukunft katapultiert worden. Niemand hätte es gewagt all das infrage zu stellen, was das winzige Virus infrage gestellt hat. Die Pandemie hat uns ja Manches unwiederbringlich geraubt. Manche sagen Lebenszeit und meinen dabei vor allem gewohnte Lebensqualität. Vieles ist nicht mehr so, wie es war.
Rückkehr in ein "normales" Leben?
Wie soll ich da in ein "normales" Leben zurückkehren können? Wir haben Menschen hergeben müssen, andere schwer gezeichnet zurückbekommen. Existenzen sind bedroht, junge Menschen sind im Lockdown und im Online-Studium traurig vereinsamt, Abschlussfeiern sind ausgefallen, Hochzeiten, Konfirmationen, Firmungen verschoben worden, Unterricht in kaum vorstellbaren Maße ausgefallen, Freundschaften, ja sogar Familien über Corona-Maßnahmen in Konflikt geraten. In unseren Gemeinden lag das bislang "normale" Gemeindeleben brach.
Ich sollte in Gottesdiensten Menschen mit Maske die Botschaft "Fürchtet euch nicht" verkünden, freilich unter den Bedingungen eines auch durch Hoffnung getragenen Hygienekonzeptes. All das ist nun Bestandteil meiner Biografie. Und nun zurück? Wohin? Und: sehnen wir uns tatsächlich nach unserem früheren stressigen Hochgeschwindigkeitsleben, das den beiden Maximen folgte "Wachstum, Wachstum, Wachstum" und "schneller, höher, weiter"? Dahin soll ich zurück? Echt jetzt?
Ich soll so tun, als ob das alles in den letzten Monaten nur ein schlechter Traum war? Zurück in die guten, alten "Burnout-Zeiten"? Leben auf Kosten der Ärmsten und der noch nicht Geborenen? Das ist normal? All das Erlittene wäre dann völlig sinnfrei erlitten worden. Nach biblischer Lesart liegt im Rückwärtsgewandt sein kein Segen. Und der wohl zwar verständliche und gleichzeitig sehnsuchtsvolle Blick der Frau Lots zurück auf die untergehende Heimat, ließ sie hart und tot wie Stein werden, so bezeugt das Alte Testament in seiner Bildersprache. Und beim Pflügen sollen wir nicht den Blick nach hinten richten, sagt Jesus. Ich will nicht zurück in mein "normales" früheres Leben. Das neue Leben nach oder mit Corona sollte wertvoll, maßvoll, nachhaltig, menschlich und auch anders sein. Keinesfalls aber so normal wie früher.
Pfarrer Andreas Werner,
Evangelische Kirchengemeinde Mellrichstadt