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Bad Neustadt
Wort zum Wochenende: Uns fehlt die Gelassenheit
Thomas Menzel, Pfarrer des Pastoralen Raumes Mellrichstadt.
Foto: Steffen Schneider  | Thomas Menzel, Pfarrer des Pastoralen Raumes Mellrichstadt.
Thomas Menzel
 |  aktualisiert: 04.09.2023 03:05 Uhr

Liebe Leserinnen und Leser,

In meinem Urlaub hatte ich an einem Tag folgende drei Erlebnisse: Ich stehe in einer langen Schlange vor einer Eisdiele. Eine vierköpfige Familie ist gerade an der Theke und die Kinder können sich nicht so recht für eine Eissorte entscheiden. Hinter mir ruft eine ältere Dame entrüstet: "Wieso dauert denn das so lange? Die sollen mal ein bisschen schneller machen. Ich habe ja nicht ewig Zeit!"

Ich fahre aus einem Parkhaus und möchte nach links abbiegen. Ich muss warten, weil von rechts Autos kommen, viele Autos. Dann endlich ein kleiner Abstand bis zum nächsten Fahrzeug. Ja, ich hätte schnell herausflitzen können, aber es war mir dann doch zu riskant. Da sehe ich im Rückspiegel den Fahrer des Wagens hinter mir, wild gestikulierend, die Hände abwechselnd aufs Lenkrad schlagend und vor die Stirn. Gehört habe ich ihn auch, denn er hupte wie wild.

In einem Lebensmittelgeschäft gibt es die Möglichkeit, seine Waren selbst zu scannen und zu zahlen. Doch alle drei sogenannten Self-Checkout-Terminals waren frei. Stattdessen stehen alle an der klassischen Kasse. Und wieder eine Schlange, ich wieder mittendrin. Und wieder vernehme ich eine Stimme hinter mir, einen jungen Mitarbeiter anraunzend, der gerade die Regale einräumt: "Meine Güte, meine Güte! Ihr müsst mal mehr Personal einstellen! Das kann doch nicht sein, sowas!“

An diesen vermeintlich kleinen Beispielen lässt sich ablesen, wie sehr sich das Lebenstempo beschleunigt hat. Und dieses Tempo finden wir inzwischen normal. Der Preis, den wir dafür zahlen, ist das Gefühl, ständig außer Atem zu sein. Es fehlt uns die Gelassenheit und wir werden ungeduldig, ausfahrend und aggressiv. Wir sind reicher an Zeit, als es Menschen je waren und verfügen über eine nie dagewesene Freiheit, sie zu gestalten. Und trotzdem erleben wir so viel Hektik und Unruhe, fühlen uns gehetzt und gestresst. Warten, Muße, Ruhe – Fehlanzeige. Wir wollen ja mithalten, möchten möglichst viel erreichen und erleben, dürfen nichts verpassen.

Ein Sprichwort sagt: "Gott schuf die Zeit, von Eile hat er nichts gesagt." Der Beginn eines neuen geistlichen Liedes lautet: "Meine Zeit steht in deinen Händen." Hier wird das Gegenteil ausgedrückt: Die Zeit ist voll von etwas, was von selbst zu uns kommt. Wir sind nicht das, was wir selbst produzieren, sondern was wir empfangen.

Und dazu müssen wir das eigene Lebenstempo herunterfahren, uns reizfreie Momente schaffen, uns Mußestunden erlauben. Ich darf mir Zeit nehmen. Und ich gelte nicht als Loser, wenn ich mal Zeit habe, Zeit für mich, vielleicht auch Zeit mit Gott.

Der Autor: Thomas Menzel ist Pfarrer im pastoralen Raum Mellrichstadt.

 
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