Liebe Leserin, lieber Leser.
Momentan ist Fastenzeit. Aus dem Buch des Propheten Jesaja tönen uns jedoch kritische Worte entgegen. Im 58. Kapitel heißt es: Ihr fastet und dabei bleibt doch alles beim Alten. Ihr fastet und bedrückt eure Arbeiter; ihr fastet und zieht euch gegenseitig über den Tisch; ihr fastet und lasst den Kopf hängen wie Schilf — für wen soll das gut sein?
Das Fasten, das Gott will, so lesen wir bei Jesaja weiter, soll kein selbstgewählter Verzicht sein, sondern ein Teilen mit dem Nächsten. Teile mit dem anderen dein Brot, deine Kleidung, dein Haus. Und dann steht da ein gewichtiger Satz: Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten. (Jes 58,8).
Vor ein paar Wochen wurde der Blick wieder einmal auf Luxemburg gelenkt. Luxemburg ist ein kleines Land, aber ganz groß darin, dass Menschen aus anderen Ländern ihre Steuern hinterziehen können. Es ist eine Steueroase mitten in der Europäischen Union. Große Konzerne und sehr vermögende Menschen können dort ihr Geld zum Beispiel vor dem deutschen Fiskus verstecken. Darunter sind Firmen wie Amazon oder Ikea, aber auch die bekannten Namen von Schauspielern und Fußballern. Das kleine Luxemburg verdient mit diesen Steuerdeals hervorragend. Und allein Deutschland entgehen dadurch jährlich fünf Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Geld, das dringend gebraucht würde zum Beispiel im Kampf gegen die Pandemie.
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, ein Star unter den Ökonomen, fordert seit einigen Jahren die Umverteilung von Milliarden-Vermögen. Seine These: Allen würde es damit besser gehen. Und er rechnet vor: Bis 1980 lag der Spitzensteuersatz in den USA bei 81 Prozent. Das Wirtschaftswachstum war damals höher als nach 1980, als der Spitzensteuersatz deutlich gesenkt wurde. Piketty sagt: Wachstum braucht keine Milliardäre, sondern beruht auf Bildung und einem gewissen Maß an Gleichheit. Man kann dazu auch anderer Meinung sein. Aber als ich das las, musste ich an die Ausführungen bei Jesaja denken. Und mir fiel ein Satz aus der Apostelgeschichte ein: "Geben ist seliger als Nehmen". Dabei bedeutet das Wort "selig" nicht "moralisch" oder dergleichen, sondern schlicht "glücklich".
Geben macht demnach glücklicher als Nehmen. Und vielleicht ist es ja ganz ernst gemeint in dem Sinne, dass wer teilt, am Ende tatsächlich mehr hat. Zumindest bei der Freude stimmt es ja. Wir wissen, geteilte Freude ist nicht halbierte Freude, sondern doppelte Freude. Vielleicht gilt das noch für mehr? Vielleicht entdecken wir ja noch viel mehr von Dingen, die, wenn wir sie teilen, mehr zurückbekommen, als wir gegeben haben? Es ist schon interessant: Ein moderner Wirtschaftswissenschaftler kommt zu dem gleichen Schluss wie der aus Urzeiten stammende Jesaja: "Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten."
Der Autor: Dr. Matthias Büttner ist Dekan in Bad Neustadt