Liebe Leserin, lieber Leser, genau vor einer Woche wurde dem wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss die Krone beziehungsweise die Laterne aufgesetzt. Und die trägt ein christliches Symbol, das Kreuz. Und daran scheiden sich wieder mal die Geister. Bei diesem Projekt ging es – zumindest in Teilen – um die originalgetreue Rekonstruktion eines Bauwerkes von hohem historischen und architektonischen Rang: die Fassade, das opulente Portal, die mächtige Kuppel, und ja: eben auch das Kreuz auf der Kuppel, das als kulturelles und historisches Erbe halt nun mal dazugehört.
Nun soll dieses neue alte Gebäude, das Humboldt-Forum, als Ort für den gleichberechtigten interkulturellen und interreligiösen Dialog genutzt und vor allem außereuropäische Kunst darin präsentiert werden. Nach Ansicht der Kreuz-Kritiker werde das allerdings durch das Kreuz auf der Kuppel verhindert. Zudem werde der religiöse Anspruch des Kreuzes betont durch ein Schriftband um die Kuppel, in dem die Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum gefordert wird.
Sehe ich das richtig? Aufgeklärte, intelligente Akademiker und Zeitgenossen haben Angst, dass dieses säkulare, plurale und bunte Berlin wieder in die Zeit eines Preußenkönigs mitsamt Gottesgnadentum und Staatschristentum zurückfällt? Jetzt ernsthaft?
Grundwerte geschaffen
Natürlich wurde unter dem Deckmantel des christlichen Kreuzes in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet. Niemand bestreitet das. Im Namen des Christentums wurde zerstört, geraubt und getötet.
Aber genauso ist es eine evidente Tatsache, dass das Christentum Grundwerte geschaffen hat, auf denen bis heute unsere europäischen Rechtsordnungen und Sozialsysteme fußen. Auch Bildung und Wissenschaft haben wir dem Christentum zu verdanken, beides wurde über Jahrhunderte in Klosterschulen und Domschulen übermittelt. Und noch etwas: sogar die Begriffe „Menschenwürde“ und „Menschenrechte“ können nicht angemessen und sachgemäß behandelt werden, ohne deren biblische Wurzeln zurückzuverfolgen.
Kirche im Dorf lassen
Also bitte: Lasst doch die Kirche im Dorf, bzw. dieses Kreuz, das aus dem Blickwinkel der Passanten doch eh klitzeklein ist, auf der Kuppel! Und nutzt dieses Zeichen lieber als Anstoß, neu nachzudenken über Werte wie Respekt, Gemeinschaft, Versöhnung, Toleranz und die Rolle von Religionen in unserer heutigen globalen Gesellschaft. Vielleicht könnte dabei sogar die ein oder andere Einseitigkeit, die liebend gerne immer nur den anderen vorgeworfen wird, im eigenen Denken durchbrochen werden? Wäre es nicht genau im Sinne des Humboldt-Forums, zu zeigen, wie vielfältig, differenziert, komplex und verschlungen die Zusammenhänge sind?
Wenn nicht, dann plädiere ich dafür, das Kreuz samt umrundenden Spruch tatsächlich schnellstmöglich wieder zu beseitigen – aber dann bitte den Berliner Dom unmittelbar gegenüber gleich mit.
Der Autor: Thomas Menzel ist Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Franziska Streitel Mellrichstadt, Pfarradministrator der Pfarreiengemeinschaft Fladungen/Nordheim und Pfarradministrator der Pfarreiengemeinschaft Besengau Bastheim