Es war das kleinste Postamts Deutschlands: Im 13 Quadratmeter großen Gebäude in der Grabfeldstraße 20 in Sondheim/Grabfeld wurde bis zum Jahr 1995 ein Postamt mit Brief- und Paketverkehr inklusive Bankfiliale und Verkaufsraum für Kleinstwaren betrieben. Seit dessen Schließung wiegt sich das Gebäude im Dornröschenschlaf. Dank dem beherzten Engagement des Heimat- und Kulturvereins Sondheim/Grabfeld wird dem ehemals maroden Gebäude nun neues Leben eingehaucht. Innen und außen wunderschön saniert – alles aus eigener Kraft der Sondheimer Dorfbewohner. Am vergangenen Samstag wurde das alte Postamt nun seiner neuen Bestimmung übergeben: die "Sondheimer Bücherstube".
"Wir möchten uns bei allen bedanken, die das hier möglich gemacht haben", freut sich Harry Eckardt, Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins, unter dessen Regie die Sanierung des alten Postamtes vorgenommen wurde. Ob es die zahlreichen tatkräftigen Helfer wie Egon Marschall oder Günter Würll waren, die ein Gros ihrer Freizeit, insgesamt 454 Arbeitsstunden, in die Arbeit an dem geschichtsträchtigen Gebäude investierten oder die vielen fleißigen privaten Spender, die 3320 Euro zusammengetragen haben.
Mit der Stadtpost schließt sich der Kreis
Dazu kamen 1000 Euro aus der Kleinprojektförderung des Landkreises Rhön-Grabfeld sowie 1000 Euro von der VR-Bank Rhön-Grabfeld, weswegen auch Peter Suckfüll gekommen war, um den Spendenscheck zu übergeben. Die Restkosten für das Material der Innensanierung übernahm der Heimat- und Kulturverein, das Material für die Außensanierung wurde von der Stadt Mellrichstadt gezahlt.
"Es ist wirklich sehr gelungen", zeigte sich Bürgermeister Michael Kraus begeistert, der als Hausherr in seiner Eröffnungsrede betonte, dass die Stadt lediglich einen finanziellen Beitrag geleistet habe. Um alles andere kümmerte sich der engagierte Verein. Die künftige Nutzung als Bücherstube sei eine tolle Idee. Mit dem Erscheinen der kostenlosen "Mellrichstädter Stadtpost" ab 1. September, die passenderweise in dem Gebäude ausliegen wird, schließe sich - wie es der Zufall will - ein Kreis.
1827 als Wachtstube errichtet
In der Sondheimer "Bücherstube" kann sich ab sofort jedermann Bücher nehmen und behalten oder ausleihen. Im Gegenzug können alle, die wieder Platz im Bücherschrank haben möchten, hier ihre Bücher abgeben. Das Team um Jutta Eckardt, Angela Würll, Angelika Leifer und Sabine Würll wird sich um die Sondheimer "Bücherstube" kümmern. Das heißt, die vier schließen auf und zu, halten die Räumlichkeiten sauber und sortieren die im Vorraum abgegebenen Bücher vor.
Im Jahr 1827 wurde das Häuschen in der Grabfeldstraße 20 (früher Hausnummer 60) als "Wachhaus" (Wachtstube) errichtet, wie Harry Eckardt berichtete. Der Bauplan des Gebäudes befindet sich noch im Original im Gemeindearchiv. Grund war wohl, dass Sondheim kurz vorher vom Herzogtum Sachsen-Meiningen zum Königreich Bayern "getauscht" worden ist, sodass es erforderlich wurde, eine Zollstation zu installieren. Strategisch günstig an der Dorfbrücke am Weidenbach gelegen, diente das Häuschen dann wohl mehrere Jahre als Wachtstube.
Häuschen war auch ein Eheanbahnungsinstitut
"Das kleine Haus hatte aber in den vergangenen 194 Jahren mehrere Verwendungen", so Eckardt. So diente es auch zur Übernachtung für Durchreisende nach Sachsen, da es in Sondheim/Grabfeld keine Gaststätte gab, wie es ein Reisebericht vom 24. Juli 1830 belegt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es nach Erzählungen älterer Mitbürger als Treffpunkt für die "Männerlichtstube" genutzt.
Dass nicht nur die jungen Männer der Ortschaft sich dort versammelt haben und gelegentlich wohl auch die jungen Sondheimer Damen anwesend waren, darauf verweist die Erzählung eines älteren Mitbürgers, der berichtet, dass er dort seine zukünftige Ehefrau "näher" kennengelernt habe. "Das Häuschen war also auch ein Eheanbahnungsinstitut", schmunzelt Eckardt.
Der lange Leerstand hat an dem Gebäude genagt
Weiterhin werde berichtet, dass eine durchreisende Romafamilie im Häuschen Nachwuchs bekommen hat. "Das Häuschen war auch Kreißsaal", so der Kommentar des Vorsitzenden. Weiterhin fand das Häuschen als Lumpensammelstelle eine Nutzung, bis dann nach dem zweiten Weltkrieg die bayerische Grenzpolizei einzog. Am 1. Oktober 1960 wurde die Sondheimer Poststelle eingerichtet, die auch als "kleinstes Postamt Deutschlands" galt, was jedoch nicht eindeutig belegt ist. Seit der Auflösung der Poststelle zum 1. Dezember 1995 stand das kleine Häuschen nun leer.
Die letzte Leiterin des Postamtes in Sondheim war Angelika Leifer, die diese Aufgabe von 1984 bis 1995 ausführte und damals von ihrer Schwiegermutter Ilse Leifer übernommen hatte. "Früher war das Postamt auch noch Telefonzelle und Telegramm-Annahmestelle", erinnert sie sich. Sie habe stets versucht, die Poststelle in Sondheim zu halten und zusätzlichen Umsatz zu erwirtschaften. "Es war eine schöne Zeit", erinnert sich Angelika Leifer freudestrahlend. Doch der Zentralisierungstrend der Deutschen Post mit Schließung aller kleinen Postfilialen konnte damals auch in Sondheim nicht verhindert werden.
Michael Kraus kennt die Poststelle noch aus seiner Kindheit
"In 25 Jahren Leerstand hat der Zahn der Zeit seine Spuren an dem kleinen Haus hinterlassen", so Harry Eckardt. Der Fußboden war komplett vermorscht, die Tapete an den Wänden verblichen, die Elektroleitungen nicht mehr funktionstüchtig sowie die Fenster und Türen nicht mehr ansehnlich. Und trotzdem stand noch das originale Mobiliar des damaligen Postamts in den Räumlichkeiten: darunter zwei Tische, ein Schrank und eine wertvolle historische Waage. An der Wand hing noch ein Zettel mit Werbung der Postbank, die zeigte, wie viele Zinsen es damals noch gab.
Das takräftige Helferteam packte beherzt an: Innen wurde alles entfernt, das Haus nahezu entkernt, der Fußboden erneuert, die Wände neu verputzt und gestrichen. Außen erstrahlt das Gebäude nun in neuem Glanz – mit umsichtig gewählter Farbgebung, bei der auch die ehemalige Referatsleiterin des Bayererischen Landesamts für Denkmalpflege Dr. Annette Faber, die in Sondheim wohnhaft ist, mitwirkte.
Bei der anschließenden Besichtigung des Häuschens zeigten sich die Besucher sehr angetan. Bürgermeister Michael Kraus, der sich noch an den Betrieb des Postamtes in seiner Kindheit erinnern kann, und Peter Suckfüll waren ganz außer sich, als sie gleich zwei Exemplare von Rita Falks Provinzkrimi "Guglhupfgeschwader" mit dem "Eberhofer" entdeckten. Spontan nahmen sie die Bücher "für den Urlaub" mit nach Hause. Hierhinein passt der Wunsch des Heimat- und Kulturvereins Sondheim, den Harry Eckardt formulierte: "Wir würden uns unheimlich freuen, wenn von dem neuen Angebot der Sondheimer Bücherstube rege Gebrauch gemacht wird."