Wir und die Grenze
Drei Erinnerungen aus der Zeit rund um den Mauerfall 1989 sind mir besonders in Erinnerung. Mit meiner Mutter war ich im kleinen Grenzverkehr unterwegs in Thüringen. Dort lernte ich einen in etwa Gleichaltrigen kennen, der sich brennend für mein Leben im Westen interessierte. Zum Abschied schenkte er mir eine DDR-Ausgabe von Jules Vernes „Fünf Wochen im Ballon“, eine Reise im Luftballon. Von da an wusste ich, was es wirklich bedeutet, als junger Mensch nicht die Freiheit zu haben, dorthin zu reisen, wohin man will.
Ein andermal fuhr ich mit meiner Mutter über den Grenzübergang Eußenhausen. Was für ein Bammel vor diesen Grenzsoldaten, wenn man die Auto-Sperre sah. Die Soldaten inspizierten das Auto haarklein und durchleuchteten einen Koffer mit Mitbringseln. Plötzlich Aufruhr! In einer Kaba-Dose entdeckten sie einen Gegenstand. Meine Mutter ging in den Vernehmungsraum, mit einer Heidenangst. Schließlich stellte sich heraus: In der Kaba-Dose war nur ein Plastiklöffel als Zugabe. Was so eine kapitalistische Verkaufsidee alles anrichten kann!
Dann der Mauerfall. Die Trabis knatterten bis nach Münnerstadt. Dann hörten wir, dass der wirkliche Wahnsinn in Mellrichstadt abgeht. Unsere Clique fuhr sofort los. Der Duft der Trabi-Auspuffe lag über dem Parkplatz voller DDR-Pkw, Menschenmassen drängten sich durch die Hauptstraße, die Geschäfte waren belagert, die Stimmung bewegte sich zwischen gespannter Neugierde und Ausgelassenheit. Auf dem Rückweg ging's in die Disco. Auf dem Parkplatz rief uns eine Stimme mit Thüringer Einschlag entgegen: „Und, Jungs, wie isses drüben?“
Wir waren nur leicht gekränkt, dass man uns für Ossis hielt!