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Wie ein Gartenschlauch auf der grünen Wiese
U nd plötzlich ist sie weg. Die Autobahn 71 schlängelte sich eben noch als graues Band durch die Landschaft, jetzt ziehen unter dem Flugzeug nur noch dunkle Tannenwälder vorbei. Der Thüringer Wald hat die Straße geschluckt.
Eine Reportage von unserem Mitarbeiter Christian Thalheimer
 |  aktualisiert: 17.10.2017 17:36 Uhr
So wie in Thüringen soll die Autobahn 71 einmal aussehen: ein schmales hellgraues Band, das in der Landschaft beinahe untergeht. Auf beiden Seiten ist sie schon grün eingewachsen, die Straße fällt ungefähr so auf wie ein Gartenschlauch im Rasen. Seit Pilot Peter Gehret aus Bad Neustadt die Cessna an Meiningen vorbeigesteuert hat, fahren Autos auf der vierspurigen Straße.

Sie schlängelt sich nicht auf den Thüringer Wald zu, nein, sie zieht majestätisch sanfte Kurven. Die Straße macht sich Brückenbauwerke untertan, die selbst aus der Luft noch majestätisch wirken. Und plötzlich .  .  . da verschwindet sie durch zwei kleine Löcher im Berg Bock. Nur in der Ferne, hinter dem Berg, ist sie im Dunst zu erkennen.

Tunnel gibt es in Thüringen reichlich, auf unterfränkischer Seite gibt es keine einzige Röhre. Der Rennsteigtunnel ist - auch aus der Luft - das beeindruckendste Bauwerk auf der ganzen Strecke. Denn hier verschwindet die Straße, die schon wie selbstverständlich zur Landschaft unter dem Flugzeug gehörte, plötzlich völlig und ist auch in der Ferne nicht mehr zu erahnen.

Der längste Tunnel Deutschlands

Die Befürchtungen, die Autobahn könne die beeindruckende Natur des Thüringer Waldes zerstören, scheinen falsch. Weithin auffällig sind aus 500  Metern Höhe nur die Skiflugschanze und die Bettenburgen in Oberhof. Unter dem Dunkelgrün der Tannenwälder und vielen Metern Stein zieht die Straße durch eine acht Kilometer lange Röhre, den längsten Tunnel Deutschlands. Nur an zwei Stellen schickt der Tunnel Bojen an die Oberfläche.

Völlig unvermittelt stehen große Lüftungs-Kamine im Wald, daneben ragen Balkone aus dem Berg und ein dickes "H" signalisiert den Hubschraubern eine Landefläche. An diesen Stellen sollen im Katastrophenfall Rettungskräfte in die Röhre steigen - Lehren aus dem Unglück im Montblanc-Tunnel.

Auf der anderen Seite des Thüringer Waldes verlässt die Autobahn 71 den Berg und schiebt sich weiter betongrau gen Osten, bis sie sich in Richtung Erfurt verliert. Im Westen wühlt sich das Lebewesen Autobahn noch durch den Dreck. Hier krabbeln Radfahrer wie kleine Käfer über die Brücken und Schotterpisten. Aus der Bodenperspektive wirkt die Autobahn gewaltig, als habe ein Riese mit einer gewaltigen Axt eine klaffende Wunde in die Erde geschlagen. Der Überblick aus der Luft wirkt anders, die Größenverhältnisse werden erkennbar.

Feiner Riss durch die Wälder

Zwischen Rhön und Grabfeld zieht sich ein feiner Riss durch Felder und Wälder, dreckbraun noch an den meisten Stellen, hier und da schon schotter- oder asphaltgrau. Zwar ist die Autobahn hier noch nicht fertig wie bei Meiningen. Aber zwischen Meiningen und der Landesgrenze sieht die Strecke noch viel wüster aus als auf bayerischer Seite. Dort haben die Arbeiten noch später begonnen als in Unterfranken.

Als Ausbilder der Flugschule Bad Neustadt hat Peter Gehret die Entstehung der Trasse vom ersten Tag an aus der Luft gesehen. Beinahe täglich hat er verfolgt, wie sich die ersten Brückenpfeiler schon in die Höhe schraubten, während Ämter und Anwohner noch über die Genehmigung für einige Bauabschnitte stritten. "Wie es war, als das erste kleine Baggerchen
kam, habe ich noch genau vor Augen", erzählt der Pilot. Anfangs ließ sich die Strecke nur erahnen, dann fällten Arbeiter die ersten Bäume. "Eines Tages kam eine Maschine und schob die oberste Bodenschicht weg - jetzt war die Autobahn auf einmal da."

Es ging zu wie auf einem Ameisenhaufen, selbst bei Flutlicht in der Dämmerung hätten die Arbeiter noch gewerkelt. So schlich sich die Straße langsam durch die Flur. "Inzwischen fällt mir die Autobahn gar nicht mehr auf", sagt der Peter Gehret, der seit Jahrzehnten am Himmel über Bad Neustadt kreist. "Sie gehört einfach zur Landschaft dazu."

Auf vielen Baustellen reihen sich an diesem Sonntag Laster und Bagger in Reih und Glied. Andernorts scheint es, als hätten die Arbeiter ihr Handwerkszeug gerade da fallengelassen, wo sie der Feierabend-Gong erreichte. Hier drängt sich der Vergleich mit Spielzeugautos auf, denn wie im Kinderzimmer eines kleinen Jungen liegen die Spielzeugautos alle wild durcheinander.

Hymer-mobile Wanderarbeiter

Bei Rheinfeldshof blendet gleißendes Weiß die Augen. Einige Dutzend Wohnwagen dienen dort den Bauarbeitern als Wohnung. Diese hymer-mobilen Wanderarbeiter ebnen der Autobahn den Weg durch die Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld.

Die Trasse sieht überall planiert aus. An einigen Stellen liegt schon der Unterbau aus Schotter, in den Wasserschutzgebieten ist die Trasse sogar schon asphaltiert. Immer wieder glotzt neben der Trasse ein schiefes gelbgrünes Augenpaar aus dem Boden. Wassertümpel, in die sich die Entwässerungsgräben der Autobahn ergießen, funkeln im Spiel von Sonnenlicht und Wolkenschatten wie lebendige Augen.

Das schlanke Wesen Autobahn geht an einigen Stellen schwanger: An der Anschlussstelle Maßbach, wo sich die Zubringer deutlich in der Landschaft abzeichnen. Auch kleine Rastplätze sind schon auszumachen.

Bei Roßrieth erkennt man die Fläche für eine Raststätte. In wenigen Wochen soll hier ein Betonmischwerk entstehen, das den Nachschub für den Bau der Fahrbahn zwischen der Landesgrenze und Hollstadt liefert.

Immer schneller erwacht die Straße nun zum Leben. Bis zum Ende nächsten Jahres soll auch in Unterfranken alles fertig sein. Die Natur bringt dann den Bau zu Ende.

Sie wird einige Zeit brauchen, um die Wunden mit sattem Grün zu schließen. Es wird viele Jahre dauern, bis die angepflanzten Bäume zu stattlichen Wäldern heranwachsen. Doch irgendwann wird die Straße auch am Boden wie selbstverständlich zur Landschaft gehören. Auch wenn sie dort nicht ganz so klein wirkt, wie aus der Luft.

 
 
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