Er war immer präsent – obwohl er gar nicht vor Ort war: Das ganze bisherige Schuljahr hatten sich die Kinder und Jugendlichen der Mellrichstädter Mittelschule mit Udo Lindenberg beschäftigt. Nun zeigten sie beim Schulfest vor mehr als 600 Gästen in der Oskar-Herbig-Halle, was sie von und mit dem Panikrocker gelernt hatten. Und das war eine ganze Menge.
Eine halbe Stunde vor Beginn. Die Anspannung ist spürbar. Kinder wuseln durch den Saal; Fetzen von Lindenberg-Liedern klingen im Hintergrund. Die Schulkapelle übt ein letztes Mal. Achim Libischer, Konrektor und Ideengeber des Projektes, ist sich sicher: „Wenn die Schüler nur 70 Prozent von dem bringen, was sie können, wird das ganz groß.“
Er soll recht behalten. Doch zunächst verteilt sein Chef Egon Bauß schon mal seine Rede an die Pressevertreter. Darauf steht, worum es an diesem Abend wirklich geht. Und worum nicht. „Wir feiern nicht das Fest der Namensgebung unserer Schule“, steht dort.
Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Krieg, Flucht, Vertreibung, die Suche nach dem Sinn des Lebens und ein harmonischer und verständnisvoller Umgang in einer „Bunten Republik Deutschland“ – das seien die großen Themen, die aufgegriffen würden.
So, wie es bei den Farben nicht nur schwarz und weiß gebe, sei es auch beim Menschen. Man finde nicht „diesen makellosen Vorzeigetyp, der sich in allen Lebensbereichen über sein komplettes Dasein hinweg immer vorbildlich verhält“. Eine klare Ansage an diejenigen, die von vornherein zweifelten, ob der beileibe nicht makellose Udo Lindenberg als Schulpate taugt. Aber auch eine Reaktion auf das überbordende, aber oft undifferenzierte Medienecho der vergangenen Tage.
Dann ist es da, das schulische Panikorchester: „Entschuldigung, ist das der Sonderzug nach Pankow“. Sofort klatschen alle im Saal. Die Schüler haben im Publikum einen riesigen Vertrauensvorschuss – das ist zu spüren. Wahnsinn aber auch, was die Schüler bei Walter Bortolotti aus Ostheim in wenigen Wochen Übungsphase gelernt haben. Der Applaus fällt euphorisch aus.
Reden gibt es wohltuend wenige an diesem Abend, nur die von Bauß, seinem Stellvertreter Libischer und von Eberhard Streit als Vorsitzender des Schulverbandes. Er verteidigt die Entscheidung des Gremiums für Udo Lindenberg als Namenspate, unterstreicht, dass nicht er als Person im Mittelpunkt steht, sondern seine Werte. Und dass man auch mal gegen den Strom schwimmen muss, auch mal Irrwege im Leben geht.
Dann bittet Libischer das Publikum, mit Hilfe der Auftritte in Lindenbergs Leben einzutauchen, quasi zu spüren, wie er tickt.
Der 69-jährige Altrocker macht es den Schülern dabei nicht schwer. Hat er doch viel Biographisches in seinen Songs verarbeitet.
Seine Kindheit zum Beispiel, als er als Zwölfjähriger von den Gräueln der Welt aus der Zeitung erfährt. Fortan will er „Friedenstrommler“ werden. Für die Theater-AG der Mittelschule wurde das Lied, „Kleiner Junge“ zum Theaterstück umgeschrieben. Sami Bakroun, Evelyn Neubauer und Malvin Schuldt setzen es hervorragend um.
„Er wollte nach Deutschland“, „Sie brauchen keinen Führer“ – viele im Publikum kennen Lindenbergs Lieder, erst recht „Hinterm Horizont“. Sie und der Enthusiasmus der Schüler reißen das Publikum mit.
Dennoch: Nach einer Szene herrscht betretenes Schweigen. Schüler spielen anonyme, offen rechtsradikale Botschaften vor, die die Schule erreichten, als die geplante Namensgebung bekannt wurde.
Zwischen 40 und 50 Kinder von Asylsuchenden lernen an der Mittelschule. Sie werden ins Programm mit einbezogen: bei einem Tanz, aber auch als Solisten. So spielt Hassan Hessan auf der Gitarre ein Lied aus seiner Heimat Afghanistan. Sehr emotional und berührend das Lied „Wozu sind Kriege da“, mit Sarah Schildt, Wolfgang Orf und dem Chor der fünften und sechsten Klassen.
„Mein Ding“ – der Song, der der Schule ihr Motto gegeben hat, bildet den Abschluss. Vorher bedankt sich Achim Libischer bei den Hauptakteuren – den Kindern. Und er sagt noch einmal, worauf es wirklich ankam: dass die Schüler sich begeistert einbrachten. Dass sie sich mit den eingangs genannten Themen auseinandersetzten. Dass sie Integration leben. Und dass Udo Lindenberg nur der Mittler, das verbindende Element für diese Inhalte war. Das in die Köpfe der Zuschauer zu bekommen, scheint an diesem Abend gelungen.