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Wer kennt noch den „Ami-Nikolaus“?
Auch die Dorfbevölkerung nahm regen Anteil am Besuch des „Ami-Nikolaus“, wie auf diesen um 1960 entstandenen Bild des Höchheimer Lehrers Werner Karl zu sehen ist. Etwa ab Mitte der 1960er Jahre wurde dieser schöne Brauch dann eingestellt.
Foto: ArchivReinhold Albert | Auch die Dorfbevölkerung nahm regen Anteil am Besuch des „Ami-Nikolaus“, wie auf diesen um 1960 entstandenen Bild des Höchheimer Lehrers Werner Karl zu sehen ist.
Reinhold Albert
 |  aktualisiert: 14.12.2020 02:15 Uhr

Jedes Kind, das in den Nachkriegsjahren in den Zonenrandgemeinden Rhön-Grabfelds aufgewachsen ist, erinnert sich in der vorweihnachtlichen Zeit an den „Ami-Nikolaus“. Ab 1951 besuchte der amerikanische Nikolaus, der „Santa Claus“, die Ortschaften in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs, die am meisten unter der Grenzziehung zu leiden hatten.

Die in Grenznähe stationierten US-Soldaten sammelten schon Wochen vorher Spenden. Rund 7000 Kinder entlang der Zonengrenze in Bayern und Hessen wurden von „Santa Claus“ beschert. In Rhön-Grabfeld kam der Santa Claus aus dem Camp-Lee bei Wollbach, manchmal auch aus Bad Kissingen.

Amerikanische Soldaten schafften sich Freunde

Mit hellem Glockenton kündigte sich die Kolonne an und hielt in den Dörfern, um den Kindern eine süße Gabe zu bringen. Immer gab es viele freudige Szenen bei dieser Freundschaftsreise der Soldaten, mit der sich die amerikanischen Besatzungssoldaten vor allem bei den Kindern viele Freunde schufen. In den 1950er Jahren besuchte der „Ami-Nikolaus“ zumeist regelmäßig in jedem Jahr die Dorfschulen und bescherte die Kinder im Klassenzimmer. Zu Beginn der 1960er Jahre war der Treffpunkt dann auf dem Dorfplatz.

Während der Schulstunden kam die Nachricht

Zumeist während der Schulstunden in der kleinen einklassigen Dorfschule wurde im Verlauf der Adventszeit bekannt, heute kommt der „Ami-Nikolaus“. An diesem Tag konnten die Schulstunden nicht schnell genug vergehen. Jeder war bestrebt, möglichst schnell Mittag zu essen, die Hausaufgaben zu fertigen und die täglichen häuslichen Arbeiten zu erledigen.

Die Kinder des Dorfes versammelten sich gegen zwei Uhr nachmittags auf dem Dorfplatz und warteten sehnsüchtig auf das Eintreffen des amerikanischen Weihnachtsmannes. Weder Regen noch Schnee schreckten ab.

Sehnsucht und Enttäuschung

Es wurde fünf und sechs Uhr und die Kinder warteten oft vergeblich. Um sechs Uhr erklang das Gebetläuten. Zeichen dafür, dass die Kinder nach Hause mussten. Wieder einmal hatten sie vergeblich ausgeharrt. Tief enttäuscht und durchgefroren begaben sie sich auf den Nachhauseweg, mitunter flossen Tränen der Enttäuschung. Wieder einmal hatte man vergessen, uns in dem kleinen Grenzdörfchen mit den „Segnungen“ aus dem fernen, reichen Amerika, womit speziell der Kaugummi gemeint war, zu bescheren. Und auch die dunkle Schokolade sowie die amerikanischen Nüsse, für Rhön-Grabfelder Buben und Mädchen damals Raritäten, hatten es uns angetan.

Brüderlich geteilt

Riesig freuten wir uns aber, wenn der „Ami-Nikolaus“ uns zufällig doch einmal fand. Oft reichte der Vorrat nicht aus, um uns alle bescheren zu können. Nur die Flinksten und die Stärksten konnten sich ein Päckchen angeln. Nachdem der „Ami-Nikolaus“ weitergefahren war, wurde meist brüderlich geteilt. Allein schon wegen eines einzigen Kaugummis hatte sich die lange Warterei gelohnt.

Jedem amerikanischen Jeep, der das Jahr über auf seinen Streifenfahrten entlang der Grenze das Dorf durchquerte, haben die Kinder damals zugewunken in der Hoffnung, dass die Soldaten einen Kaugummi zuwarfen, was meist jedoch nicht geschah. Eines der ersten englischen Worte, die Kinder seinerzeit beherrschten, war "Chewing Gum“.

Der „Ami-Nikolaus“ besuchte in der Nachkriegszeit die Kinder in den unmittelbar an der Zonengrenze liegenden Dörfern, um sie zu bescheren. Dabei waren nahezu alle Dorfkinder auf den Beinen, die sehnsüchtig auf den heiligen Mann gewartet hatten.
Foto: ArchivReinhold Albert | Der „Ami-Nikolaus“ besuchte in der Nachkriegszeit die Kinder in den unmittelbar an der Zonengrenze liegenden Dörfern, um sie zu bescheren.

Im Dezember 1963 berichtete die Heimatzeitung über den Besuch des „Ami-Nikolaus“ in Herbstadt unter der Überschrift „Santa Claus besuchte die Grenze“: „Wieder bescherte der amerikanische Weihnachtsmann die Kinder in den Gemeinden am 'Zaun'. Überall wurde der freundliche, etwas lautstarke Herr mit Jubel und Begeisterung empfangen.Es ist schon zu einem schönen Brauch geworden, dass Santa Claus alljährlich wenige Tage vor Weihnachten den Eisernen Vorhang entlang abfährt, um Kinder der ohnehin bedrängten Ortschaften zu bescheren (...) Santa Claus, der mit einem olivgrünen Jeep kam und von einem Lastwagen mit lauter Geschenken begleitet war, fuhr von Gemeinde zu Gemeinde und hatte jedes Mal nur wenig Zeit." Etwa ab Mitte der 1960er Jahre wurde dieser schöne Brauch dann eingestellt.

Literatur: Reinhold Albert: Silberstrauß und Ringelein, silbern ist das Mägdelein – Bräuche in alter und neuer Zeit und Rhön und Grabfeld, Mellrichstadt 2018.

 
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