
Allein diese Sprache in Shakespeares letzter großer Komödie, "Was ihr wollt"! Voller Wahrhaftigkeit, seit vier Jahrhunderten. Egal in welcher Übersetzung. Auch in Frank Behnkes Meininger Kammerspiel-Inszenierung des Stückes zieht einen die Sprache ins Geschehen. Und die Musik, von John-Dowlands "Flow my tears" bis zum gegenwärtigen "Was ihr wollt"-Song von Lukas Umlauft.
Aus jeder Pore der Geschichte dringt eine tiefe, weise Melancholie. Wenig ist von Bestand in dieser Welt, auch nicht die Fundamente dessen, was man Liebe nennt. Immer wieder verschwinden und erscheinen Begierde, Begehren, Gelüste, Sehnsüchte, Seelenschwingungen auf den Jahrmärkten der Eitelkeit im wechselvollen Spiel von Sein und Schein. Herzog Orsino liebt – begehrt? - die Gräfin Olivia. Die aber liebt des Grafen Liebesboten Cesario. Der jedoch ist Viola – eine als Mann verkleidete Frau. Die liebt wiederum Orsino. Und dann taucht noch Violas tot geglaubter Zwillingsbruder auf, Sebastian.
Um dieses existentielle Spiel um Identität kreisen die üblichen Figuren, die sich dem Wahn, dem Suff oder der Poesie hingegeben haben: der karrieresüchtige Bedienstete Malvolio, die abgetakelten Adligen Sir Toby und Sir Andrew und der Narr, der vergeblich versucht, zwischen Illusion und Wirklichkeit zu balancieren.
Wehmütige Poesie
Das alles ereignet sich natürlich im Traumland Illyrien. Das existiert überall dort, wo Sehnsüchte und Illusionen das Sein beherrschen, eingehüllt in wehmütige Poesie. Immer wieder zerbröseln Gefühle und Erkenntnisse im Wankelmut zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Dazwischen Mächte, die der Mensch nicht begreift, die ihn aber hin und her schütteln, wie der Wind das Laub, wie Prosperos Luftgeister die Gestrandeten im "Sturm" oder wie der Elf Puck die Liebenden im "Sommernachtstraum".
Man möchte am liebsten die treffendsten Sätze der Figuren mitnotieren und an passender Stelle zitieren. Egal, ob "Hop heißa, bei Regen und Wind" in älteren Übertragungen des Shakespearestücks oder in der aktuellen, poetischen und scharfzüngigen Übersetzung und Bearbeitung von Gabriella Bussacker und Jan Bosse: "Und später, als ich älter war / und alles um mich kälter war, / sprach ich mit meinem Spiegelbild, / ob noch die alte Frage gilt: / Wer bin ich und, wenn ja, warum?/ Der Regen fällt und fällt und fällt, / und ich trinke auf das Ende unsrer Welt."
Schwankende Gemütsverfassungen
Nun muss man das "Ende unsrer Welt" nicht als Ende der Zivilisation begreifen. Wohl jedoch als Ende des traditionellen Denkens im Männchen-Weibchen-Schema. Ohne Umschweife wäre man also bei der aktuellen Genderdebatte. Doch die spielt im Lauf der Handlung keine Rolle, weil man die traditionellen Geschlechterrollen schlicht vergisst und sich auf die schwankenden Gemütsverfassungen der Individuen konzentriert.
Dank des überwältigenden Ensemblespiels vergisst man schnell, dass alle Darsteller Männer sind, die auftreten, als spielten sie im Londoner Globetheater zu Shakespeares Zeiten, als Frauenrollen von Knaben übernommen werden mussten. Dem Inszenierungsteam kam ein zeitweiser Mangel an Schauspielerinnen gelegen, denn die waren alle in die Inszenierung von "Ladies Football Club" eingebunden.
Spiel der Eitelkeiten
Welch Wunder! Schnell verflüchtigt sich "das" Männliche und "das" Weibliche beim Spiel von Lukas Umlauft (Orsino), Yannick Fischer (Olivia), Leo Goldberg (Viola/Cesario), Jan Wenglarz (Sebastian), Marcus Chiwaeze (Narr), Vivian Frey (Malvolio), Renatus Scheibe (Sir Toby) und Gunnar Blume (Sir Andrew). Man konzentriert sich in Christian Rinkes Bühnenbild einer Manege auf das androgyne, Geschlechter übergreifende Spiel der Eitelkeiten. Die den Spielraum umschließende glitzernden Lamettakulisse ist so etwas wie ein Instrument der Selbstbespiegelung der Gestalten. Nur, dass die Selbstbilder dabei in tausend Streifen zerfallen, so wie Illusionen an der Wirklichkeit in zahllose Bruchstücke zerschellen.
Noch etwas vergessen, was nicht vergessen werden darf? Ja. Die musikalische Liveuntermalung des Geschehens durch die Schauspieler selbst, unter Leitung von Kompositeur Lukas Umlauft und dem eindringlichen Sounddesign von Matthias Schubert. - Ein rundum faszinierender Abend und eine Begegnung mit sich selbst.
Nächste Vorstellungen: 13. 11., 10. und 28. Dezember, Kartentelefon (03693) 451 222, www.staatstheater-meiningen.de

