zurück
Wechterswinkel
Wechterswinkel: Die ehemalige Propstei wird zum Leben erweckt
Die Propstei ist ein imposantes Bauwerk, das Klaus Dippel zu einem Schmuckstück herausputzen will.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Die Propstei ist ein imposantes Bauwerk, das Klaus Dippel zu einem Schmuckstück herausputzen will.
Klaus-Dieter Hahn
 |  aktualisiert: 01.10.2020 02:10 Uhr

Die kleine, idyllisch gelegene Besengau-Ortschaft Wechterswinkel birgt faszinierende bauliche Schätze in ihren Mauern. Angefangen von der Klosterkirche über den imposanten früheren Konventbau bis hin zur historischen Rundbogenbrücke über den Elsbach. Demnächst soll noch ein weiteres Juwel hinzukommen: die alte Propstei. Dort, wo früher der Propst des vormaligen Klosters Wechterswinkel residierte, kann man schon bald seinen Urlaub verbringen, Familienfeiern abhalten oder auch an einem Seminar teilnehmen. Der reichhaltigen Geschichte der unter Denkmalschutz stehenden großen, symmetrischen Hofanlage mit ihren drei Flügeln aus dem Jahr 1793 wird damit ein weiteres, interessantes Kapitel hinzugefügt.

Stil- und geschmackvoll eingerichtete Zimmer warten auf Gäste.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Stil- und geschmackvoll eingerichtete Zimmer warten auf Gäste.

Vor einigen Tagen hat Eigentümer Klaus Dippel das große Eingangstor zur ehemaligen Propstei für die Öffentlichkeit geöffnet und einen Einblick in den Baufortschritt der Umbauarbeiten gegeben. Das Angebot wurde gerne angenommen. So mancher Wechterswinkler erinnerte sich an längst vergangene Zeiten. „Hier oben unterm Dachgeschoss hab ich früher mal das Tanzbein geschwungen“ oder „Dort war ich zum Kindergeburtstag eingeladen“. Der langjährige Vorbesitzer, Helmut Blümm, war ebenfalls  vorbei gekommen, um zu sehen, wie sich sein früher landwirtschaftlich genutztes Anwesen nun verändert hat. Im jetzigen Wohnzimmer im Südtrakt mit den beeindruckenden Stuckarbeiten weiß er, dass in dem Raum damals während des Nationalsozialismus, als das Anwesen dem Reichsarbeitsdienst (RAD) als „Heim der weiblichen Jugend“ diente, Zwischenwände ohne Rücksicht auf Denkmaleigenschaft eingezogen worden waren. Handwerker haben inzwischen den Raum wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt, der sich sehen lassen kann.

Auch dieses Zimmer soll den Gästen vorbehalten bleiben.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Auch dieses Zimmer soll den Gästen vorbehalten bleiben.

Das ein oder andere wurde ans Tageslicht gefördert

Sichtlich stolz ist Klaus Dippel auf das, was im Zuge der Bauarbeiten in der Propstei ans Tageslicht gefördert wurde. So hat man im Garten einen uralten Eichenpfahl gefunden, der „nach den dentrologischen Untersuchungen mit einer überlieferten Urkunde zum Bau des Siechenhauses in Verbindung stehen könnte. Unter dem Fußboden des rechten Hausflügels  - dort, wo früher Hausschlachtungen durchgeführt wurden, stieß man auf Reste eines früheren Fußbodenbelags. Beim Blick in den komplett ausgehobenen Raum der früheren Waschküche konnten die Besucher staunend tatsächlich noch den fast unversehrt gebliebenen alten Plattenbelag des Vorgängerbaus deutlich erkennen. Es handelt sich dabei wohl um den barocken Fußboden aus den Zeiten des Oberpropstes Greiffenclau, der genau 56 cm tiefer als der jetzigen Boden lag. In dem damaligen Auffüllmaterial fand man nun noch viele interessante Putz- und Steinfragmente, die Klaus Dippel sorgfältig gesammelt, angeordnet und auch schriftlich erläutert hatte. Die Fußbodenreste werden nun natürlich unverändert im Gebäude belassen. Allerdings werden sie wieder überschüttet und letztlich unter dem neuen Küchenfußboden verdeckt. 

Klaus Dippel (rechts) im Gespräch mit Helmut Blümm, einem der Vorgänger-Eigentümer.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Klaus Dippel (rechts) im Gespräch mit Helmut Blümm, einem der Vorgänger-Eigentümer.

Das gesamte Anwesen entwickelt sich mehr und mehr zu einem wahren Schmuckstück. Insgesamt vier Ferienwohnungen  und vier dazu kombinierbare Doppelzimmer werden in der „Herberge“, wie Klaus Dippel die Propstei bescheiden nennt, entstehen. Außerdem soll auch noch die Südscheune für Wohnzwecke umgebaut werden. In drei Gruppen- und Seminarräumen können Fortbildungsangebote durchgeführt werden. Mit einer modernen Holzpelletsheizung wird das Anwesen umweltbewusst beheizt. 

Die Geschichte der Propstei in Wechterswinkel

Ende des 18. Jahrhunderts ist die Propstei als früheres, repräsentatives Verwaltungsgebäude des Klosters Wechterswinkel vom Oberpropst Carl Theodor von Dalberg (später Erzbischof von Mainz) errichtet worden. Zum damaligen Zeitpunkt hatte das ehemalige Nonnenkloster seine reiche Blütezeit schon längst hinter sich. Es war – im 12. Jahrhundert gegründet -  bereits im 16. Jahrhundert aufgelöst worden. Die weiterhin vorhandenen Klostergüter wurden allerdings von der Propstei mit dem mächtigen zweigeschossigen Hauptbau und dem imposanten Mansardwalmdach aus verwaltet.
Doch nur etwa zehn Jahre lang bis zum Reichsdeputationshauptschluss und der Säkularisation. Danach weist die Propstei eine sehr wechselhafte Nutzung auf. Zunächst diente sie 1813/1814 als Lazarett in der Zeit der Napoleonischen Kriege. Anschließend dann der Landwirtschaft, ehe sie 1914 vom Berliner Sprachforscher Ernst Lewy (1881-1966) gekauft wurde. Nach der Emigration des jüdischen Ehepaares Lewy 1933 erlebte das Anwesen einige Jahre als „Erholungsheim Schloss Wechterswinkel“, bevor es dann der RAD 1939 zur Unterbringung von knapp 50 Mädchen und Frauen in Anspruch nahm, die von dort aus zu Arbeitseinsätzen in den umliegenden Dörfern gelangten. Im Dachboden fand man Nägel, die von 1 bis 48 durchnummeriert waren, an denen die Zivilkleider  der Frauen aufgehängt worden waren.
Nach Besetzung durch die US-Army am Ende des Zweiten Weltkrieges, Verwendung als Flüchtlingsunterkunft für Vertriebene und Rückgabe an die Familie Lewy wurde die Propstei schließlich in den 50er Jahren von Landwirt Helmut Blümm erworben, der dort bis 1998 mit seiner Familie lebte. Vor elf Jahren hat Klaus Dippel die ehemalige Propstei gekauft und wird nun in der Historie des Anwesens ein weiteres Kapitel aufschlagen.
Quelle: pa
Der alte barocke Fußboden des Greiffenclau'schen Vorgängerbaus, der einen halben Meter unter dem jetzigen Niveau lag.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Der alte barocke Fußboden des Greiffenclau'schen Vorgängerbaus, der einen halben Meter unter dem jetzigen Niveau lag.
Beim Blick aus der Propstei breitet sich der Garten mit dem Schwimmteich vor dem Blick des Betrachters aus.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Beim Blick aus der Propstei breitet sich der Garten mit dem Schwimmteich vor dem Blick des Betrachters aus.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Wechterswinkel
Klaus-Dieter Hahn
Bau
Fußbodenbeläge
Gebäude
Handwerker
Kloster Wechterswinkel
Landwirte und Bauern
Landwirtschaft
Reichsdeputationshauptschluss
Vertriebene
Weltkriege
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top