Als Dr. Herman Dietrich 1980 ins Berufsleben eintrat, war er 28 Jahre alt. Menschen, die gut im Kopfrechnen sind, wissen jetzt schon, dass der Allgemeinarzt und Sachverständige für Flugtauglichkeit aus Saal die 70 Jahre schon überschritten hat. Obwohl er schon im Ruhestand sein könnte, findet man ihn noch jeden Werktag in seiner Praxis, wo er Patienten behandelt. Seine Frau arbeitet am Empfang mit. Warum er noch immer seinem Beruf nachgeht, und ob eventuelle ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin in Sicht ist; dazu äußert sich Dr. Dietrich im Interview mit dieser Redaktion.
Dr. Herman Dietrich: Für Selbständige wie Anwälte, Steuerberater und auch niedergelassene Ärzte gibt es kein festes Renteneintrittsalter, zu dem man üblicherweise seine Tätigkeit beendet. Die eigene wirtschaftliche Situation spielt nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist die tägliche Freude und Motivation bei der Arbeit. Zu einem Großteil meiner Patienten habe ich mittlerweile ein sehr persönliches Verhältnis und ich möchte sie bei gesundheitlichen Fragen optimal behandeln und beraten. Als Hausarzt bin ich in den meisten Fällen der erste Ansprechpartner, wenn es um ernstere Themen als Rückenschmerzen, grippale Infekte oder ähnliches geht. In welcher Klinik soll ich mir eine neue Hüfte implantieren lassen? Muss ich mir wegen eines Befundes Sorgen machen, dass es bösartig sein könnte? Kann man bei der zunehmenden Demenz des Vaters noch etwas unternehmen? Und nicht zuletzt fällt mir das sogenannte operative Geschäft durch meine langjährige Berufserfahrung nicht schwer und es macht Spaß, meinen Patienten kompetente Hilfe anbieten zu können. Einen konkreten Termin, an dem wir die Praxis in der jetzigen Form beenden, kann ich nicht nennen.
Dietrich: Seit knapp zwei Jahren ist die Praxis an der KV-Praxisbörse (Kassenärztliche Vereinigung) gelistet. Bisher hat sich noch kein Interessent bei uns gemeldet. Ich bin auch auf anderen Kanälen auf der Suche nach einem Nachfolger, bisher leider ohne Erfolg.
Dietrich: Einer der Hauptgründe, warum junge Ärzte keine typische Landarztpraxis übernehmen wollen, ist sicher die unsichere betriebswirtschaftliche Erwartung. Nach aktuellen Veröffentlichungen gibt es fast keinen Unterschied zwischen dem Gehalt eines Oberarztes in einer Klinik und dem bereinigten Gewinn eines Praxisinhabers. Das unternehmerische Risiko wird also nicht abgebildet. Zu Beginn meiner Tätigkeit waren die Praxissitze noch sehr begehrt und konnten problemlos bei der Beendigung an einen Nachfolger verkauft werden. Über Honorar wurde früher nicht geredet. Wir Hausärzte fühlten uns angemessen bezahlt und konnten auch das Personal korrekt entlohnen. Heute würden wir uns wünschen, dass die medizinischen Fachangestellten fair gegenfinanziert würden, damit sie einen Lohn bekommen, der sie davon abhält von den Praxen abzuwandern. Die Politik ist gefordert, diese Problematik zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. In einem Ranking der Wirtschaftlichkeit von Arztpraxen nehmen heute die Hausärzte den 21. Platz von 25 ein.
Dietrich: Nach sechs Jahren Medizinstudium und der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin habe ich den Schritt gewagt. Ich hatte optimale Voraussetzungen für den Berufsstart, da das Know-how der Eltern und natürlich auch die Patientendatei weitergegeben wurden. Mein Vater war 72 und meine Mutter 69 Jahre, als sie aufgehört haben. Die Praxis war übrigens von meiner Mutter nach dem 2. Weltkrieg gegründet worden. Das war zu dieser Zeit für eine Frau sehr ungewöhnlich.
Dietrich: Das war schon so, als meine Eltern noch die Praxis hatten, übrigens auch an Heiligabend. Die Leute haben aber damals nur dann den Arzt geholt, wenn es auch dringend notwendig war. Also bei hohem Fieber, Herzproblemen oder anderen ernsten Symptomen. Einen Anrufbeantworter hatten wir gar nicht. Die Attraktivität der Stadt gegenüber dem Land ist für viele Jüngere heute größer als das Land. Speziell in Hinsicht auf Schulen, Kulturangebot, Freizeit oder auch Gastronomie. Die rund 10.000 Abschlüsse im Jahr in Humanmedizin sind aber eigentlich völlig ausreichend zur Deckung des Bedarfs. Aber die Anzahl der Ärzte in Teilzeit steigt parallel zum Anteil der Frauen seit Jahren kontinuierlich an. "Die Medizin wird weiblich."