So geht politische Debatte. "Freitag"-Herausgeber Jakob Augstein (51) und "Bild"-Vizechefredakteur Nikolaus Blome (56) sind sich zwar selten einig in ihrer Einschätzung der politischen Lage im Land. Aber sie hören einander zu und achten die Argumente ihres Gegenübers, wenngleich manchmal auch garniert mit Spott und Ironie. Ganz anders eben, als man es von politischen Kontroversen in den sozialen Medien mittlerweile vielfach gewohnt ist.
Das Erfolgsrezept ihres Talks beim TV-Sender Phoenix funktioniert auch auf der Bühne, wie ihr Auftritt vor knapp 150 Zuhörern in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) zeigt. In der Buchhandlung Rupprecht machen die beiden Journalisten Werbung für ihr neues gemeinsames Buch "Oben und unten. Abstieg, Armut, Ausländer – was Deutschland spaltet".
Es lohnt sich, auch mal der Gegenseite zuzuhören
Klar, es ist auch Show dabei, schließlich wissen die beiden, wie der jeweils andere tickt. Viele Diskussionen führen sie nicht zum ersten Mal. Der linke Augstein und sein konservatives Pendant demonstrieren auf unterhaltsame Weise, dass es sich lohnt, egal ob in Renten- oder Migrationsfragen, auch mal der Gegenseite zuzuhören, sich einzugestehen, dass "keiner von uns die Wahrheit gepachtet hat". So fordert der "Spiegel"-Erbe mehr staatliches Engagement gegen Altersarmut, während der Springer-Kollege darauf verweist, dass die meisten heutigen Rentner längst nicht so bedürftig sind, wie Lobbyisten behaupten. Dass angesichts prekärer Beschäftigungsverhältnisse spätere , künftige Rentner deutlich stärker armutsgefährdet sind als heutige, darauf können sich die beiden Journalisten einigen.
Kontrovers auch viele Ansichten in der Migrationspolitik. Mehr Flüchtlingen den deutschen Pass zu geben, würde die Integration beschleunigen, glaubt Augstein. "So sprengen sie das Land in die Luft", kontert Blome. In der Ablehnung von Nationalismus à la AfD und der Forderung nach einer Leitkultur sind sich beide dann wieder einig.
Nach knapp 90 Minuten unterhaltsamer Diskussion ist dann noch Zeit für ein Interview.
Frage: Ihre Kontroversen vor Publikum – nur gespielte Distanz? In Wirklichkeit lieben Sie sich, oder?
Jakob Augstein: Wir siezen uns auch hinter der Kamera.
Nikolaus Blome: Mir ist wichtig, eine Art Halbdistanz zu halten, in der man sich gut raufen kann. Da geht auch bei strittigen Themen niemals der Respekt verloren. Das ist das, was unsere Diskussionen von den Debatten im Netz unterscheidet.
Sind Sie sich über die Jahre politisch näher gekommen?
Augstein: Nein, sind wir nicht. Wir streiten über unterschiedliche Themen mit unterschiedlichen Argumenten. Ich versuche, die Position des anderen nachzuempfinden und seine Meinung zu verstehen. So kann ich meine eigene viel besser formulieren. Und festigen.
Blome: Unsere weltanschaulichen Positionen sind so unterschiedlich geblieben, wie sie von Anfang an waren.
Der eine ist der Linke, der andere der Rechte?
Augstein: Ich würde mich als links bezeichnen.
Blome: Und ich habe kein Problem mit rechts. Ich habe aber ein Problem, dass rechts als Begriff mittlerweile flächendeckend diffamiert ist. Dabei ist rechts von der Mitte als politischer Aufenthaltsort mindestens so legitim wie links von der Mitte.
Kommen wir zur aktuellen Politik. Wie lange wird Angela Merkel noch Kanzlerin sein?
Augstein: Da müssen Sie Blome fragen, der ist der Merkel-Biograph. Und hat ihren Abgang schon für 2015 vorausgesagt.
Blome: Ich glaube, am Ende muss ich an dieser Jahreszahl nur eine Ziffer ändern.
Augstein: 2025?
2019? Wer wird Nachfolger? Annegret Kramp-Karrenbauer?
Blome: Wahrscheinlich läuft es auf sie hinaus. Hoffentlich aber in einer anderen Konstellation als die gegenwärtige Große Koalition. Die hat nicht die Kraft, umzusteuern, wenn die Wirtschaft jetzt erstmals nach Jahren in den Sinkflug geht.
Wäre Robert Habeck eine Kanzler-Alternative?
Blome: Da müssen Sie den Kollegen fragen.
Augstein: Von der Zukunft verstehe ich wenig. Immer wenn ich Prognosen abgegeben habe, sind die nicht eingetreten. Ich wusste, dass der Brexit nicht kommt, und ich wusste, dass Donald Trump nicht gewählt wird. Mit Blick auf die Vergangenheit kann ich sagen, dass die Große Koalition die SPD zerstört, irreparabel zerstört hat.
Sind Sie nicht selbst SPD-Mitglied?
Augstein: Ich bin immer noch Mitglied. Das ist wie mit der katholischen Kirche, da kommt man irgendwann nicht mehr raus. Ich glaube, dass die Große Koalition für die politische Kultur und für das Land total verheerend war.
Blome: Das sehe ich anders. Die ersten beiden großen Koalitionen haben das Land durch zwei schwere Krisen geführt, zum einen durch die Finanzkrise, zum anderen die zweite Hälfte der Eurokrise. Da jeweils wirtschaftlich gestärkt rauszukommen, wäre ohne Große Koalition wesentlich schwieriger geworden. Das ist das bleibende Verdienst von Angela Merkel. Die dritte Krise, die Flüchtlingskrise, die ist ihr aus der Hand geflogen.
Augstein: Wenn Erfolg bedeutet, im Amt zu sein, dann ist Angela Merkel eine erfolgreiche Politikerin. Wenn man sich die Bilanz ihrer Amtszeit anschaut, halte ich sie für eine grandios gescheiterte Kanzlerin.
Na ja, es geht dem Land, zumindest der großen Masse, doch einfach ziemlich gut.
Blome: Arbeitslosigkeit halbiert, keine Schulden mehr, acht Jahre Wachstum. Wer will im Ernst sagen: mies gelaufen, das alles.
Augstein: Wir nehmen die Schulden halt bei den kommenden Generationen auf. Irgendwer muss mal für die bröckelnden Brücken bezahlen. Eine zukunftslose Politik hat diese Frau gemacht. Als Chefanästhesistin im Kanzleramt hat Dr. Merkel alle irgendwie eingeschläfert – und so zur Entpolitisierung der Gesellschaft beigetragen.
Was wird aus Kevin Kühnert?
Augstein: Der wird SPD-Chef und wird genauso wie Sigmar Gabriel immer ganz genau wissen, was man hätte machen müssen, wenn man nicht der gewesen wäre, der man am Schluss dann doch wurde.
Wir sind im Wahlkreis von Dorothee Bär. Was wird aus ihr?
Augstein: Wer ist Dorothee Bär?
Blome: Dorothee Bär war die erste, die von Flugtaxis sprach. Und wurde ausgelacht. Jetzt bauen wir die Dinger. Das ist nicht ihr Verdienst allein, aber sie hat es auch nicht verdient, dafür ausgelacht zu werden.
Sie sind heute in Bad Neustadt. Was hat die Provinz, was Berlin nicht hat?
Augstein: Die Provinz hat ein lebendiges Kulturleben und ein lebendiges bürgerliches Leben, ein funktionierendes, was man sich in einer Stadt wie Berlin auch wünschen würde.