
Schwer vorzustellen, dass sich Richard und Cosima Wagner alias Peter Bernhardt und Chris Pichler auf der Theaterbühne das Leben so publikumswirksam schwer machen wie Elizabeth Taylor und Richard Burton in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Und wenn doch: Fesselt die Zuschauer das Wagnersche Familiendrama 140 Minuten lang? Der junge Regisseur Jan Steinbach hat zum Meininger Auftakt des Wagner-Jahres mit der Uraufführung der Theaterfassung eines bereits 1986 verfilmten Romans von Reinhard Baumgart, „Wahnfried – Bilder einer Ehe“ den Versuch gewagt.
Die Vermutung liegt nahe, dass der Stoff – auf der Grundlage von Cosimas Tagebüchern – als zu sperrig angesehen wurde, wenn man ihn erst nach mehr als einem Vierteljahrhundert als Bühnenstück inszeniert. Mit dieser Skepsis und der Erwartung allzu kunstvoll gedrechselter Dialoge geht der Rezensent ins Theater. Und mit der zusätzlichen Befürchtung im Hinterkopf, dass sich die Verklärung des Genies Wagner längst zum Denkmal mit der Konsistenz von Stahlbeton verhärtet hat. Festgemauert über Erden. Informationen übers wahre Leben hinter Putz und Fassaden fließen aus der Villa Wahnfried eher tröpfchenweise.
Nun muss man, wenn einen ein Kunstwerk mit allen Sinnen gefangen nimmt, nicht unbedingt wissen, wie das Privatleben des Künstlers aussieht. Bei Persönlichkeiten wie Richard und Cosima Wagner jedoch, die die Kultur einer ganzen Nation durch die Musik, durch Weihefestspiele, gesellschaftliche und politische Verbindungen und Einlassungen identitätsstiftend geprägt haben, bei Persönlichkeiten solchen Kalibers ist das anders. Welch Erwartungsdruck also für einen Theaterabend!
Die Bühne liegt offen. Kein Vorhang. Zu sehen ist ein kleiner Ausschnitt des Festspielhauses im inneren Rohzustand, obwohl Orte der Handlung das Landhaus Tribschen und später die Bayreuther Villa Wahnfried sind. Ein rotes, bis zum Ende statisches Treppengebilde mit Säulen links und rechts, das hinten mit einem schlichten, schleierhaften Vorhang ins hochsymbolische Dunkel führt (Bühne: Frank Albert). Dann tauchen maskierte Gestalten auf, die der Commedia dell'arte entsprungen scheinen (historisierende Kostüme: Lisa Däßler), gleichermaßen die Fantasie Wagners inspirierend wie bedrohend: „Der Tod in Venedig ist gewiss, oh Meister“, könnten sie wispern. „Aber du hast noch 14 Jahre Zeit, dein Leben an der Seite von Cosima von Bülow, geborene Liszt, zu ordnen. Oder auch nicht.“
Immer noch verhaltene Skepsis. Plötzlich erscheinen der Meister in Gestalt Peter Bernhardts und sein Flügel aus der Tiefe des Orchestergrabens. Schon beginnt das unerwartete Spiel mit Worten und Gesten und vielerlei Verzauberung des Geschehens – ein bunter Reigen an Vexierbildern, mit einer doppelten Cosima, als Frau an der Seite Wagners (Chris Pichler) und als Witwe (Ulrike Barthruff). Mit Vor- und Rückblenden, mit Traumsequenzen und kurzzeitigem Neben-Sich-Selbst-Treten von Figuren. Mit fantastischen Einfällen, die Geburt Siegfrieds (Lukas Benjamin Engel) etwa, und auf den Punkt gebrachte Augenblicksstudien der Charaktere: Nietzsches (Florian Beyer) Verschwurbelung seiner Gefühle für Cosima oder die Larmoyanz des Gehörnten von Bülow (Harald Schröpfer) oder Liszts (Ingo Brosch) penetrante Präsenz im Hause. Oder die Regungen der Geliebten Judith Gautier (Anja Lenßen) auf Parsifals rotem Kissenfeld. Oder die unredlichen Mühen des nicht mehr ganz bissfesten Genies um die Keuschheit der jungen Sängerin Carrie Pringle (Anne Rieckhof). Und nicht zuletzt die fotografischen Standbilder der „Patchworkfamilie“ mit Wagners Ziehtochter Daniela (Mara Amrita) und dem geliebten Hund Ruß als menschlichem Hausdiener (Bravo, Matthias Herold!).
Alle Ideen, den Szenen einer Ehe in einzelnen Bildern auf den Grund zu gehen, sind augenzwinkernde, ironische Glanzstückchen. Nicht überspielt, nicht untertrieben. Da knistert's im Stahlbeton des Denkmals, da schlucken die Wagnerianer, da bleibt ihnen manch möglicher Lacher im Halse stecken: Wird hier etwa ein Gesamtkunstwerk zerstört? – Mitnichten. Reinhard Baumgart achtet, ja liebt seine Figuren und Jan Steinbach erweckt sie im Sinne des Autors zum Leben, mit Empathie, aber auch mit ironischer Distanz zu den vorgeführten Allüren, Eskapaden, Leidenschaften, Selbstinszenierungen. Im Zentrum steht dabei immer wieder die Frage nach der Rolle Cosimas zwischen Unterwerfung und Machtausübung.
Selbstverständlich sind – in Sachen rhetorische Gefechte – keine Parallelen zu ziehen zu Burton/Taylor oder anderen Szenen einer Ehe. Die Auseinandersetzungen im Hause Wagner sind von anderer Natur. Aber so, wie sie Peter Bernhardt und Chris Pichler austragen, umgeben von einem hervorragenden Ensemble stimmiger, tragikomischer Figuren, binden sie unterhaltsam die Aufmerksamkeit der Zuschauer, selbst wenn es ein paar Durststrecken zu durchwandern gilt. Das Erstaunlichste ist, wie die Wortgewalt des Stückes durch die Zerlegung der Geschichte in Vexierbilder verträglich und verständlich wird. – Hut ab vor dieser Inszenierung und ein Kompliment an die Schauspieler.
Nächste Vorstellungen im Großen Haus: 25. und 30. Januar, 23. Februar, 2., 9. und 30. März, jeweils 19.30 Uhr. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de