Mit der Heimat geht‘s voran! Im Verlauf einer turbulenten Stadtratssitzung wurden jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt. In Herschfeld sollen auf einen Schlag 145 neue "Wohneinheiten" entstehen. Politischer Sprengstoff! Ein Dorf im Dorf, unglaubliche sechs Stockwerke hoch in prominenter Lage! Der Bebauungsplan wird demnächst gewissermaßen "nachgereicht". Böse Zungen behaupten ja, die Sache wurde bereits im Vorfeld aus-, bzw. abgekartet.
Na und? Bei uns wird bekanntlich sowieso alles genehmigt. Nichts bremst den Fortschritt! Baudenkmäler wegreißen? Bagatelle! Mega-Ställe in der Nähe eines Trinkwasserbrunnens? Kein Problem! Bei Fäkalverseuchung wird er eben vom Netz genommen. Nur eine Stadträtin und drei Stadträte - allesamt Herschfelder - stimmten gegen die Wohnsilos. Gleich zu Beginn der Sitzung wies der "Bürchermästä" etwa 40 Herschfelder zurecht, die es gewagt hatten, ein Schild mit der provokanten Aufschrift „Nein“ auf ein Modell des fix und fertig geplanten Projekts zu platzieren. So geht’s nicht!
Wer Angst um seinen Ortsteil hat oder eine andere Meinung vertritt als der "Chef", verhält sich „unsachlich“. Und das wäre ja noch schöner! Die Reaktion unseres Stadtoberhaupts war mehr als angemessen. Er steht in seinem letzten Amtsjahr.
Mal Klartext: Das ganze ländliche Entwicklungs-Tralala mag sich in Sonntagsreden ja gut anhören. Aber es ändert doch nichts an der Tatsache, dass immer mehr junge Menschen aus randständigen Käffern in die Stadt flüchten. Unser öffentlicher Personennahverkehr belegt bundesweit den drittletzten Platz! Und daran wird sich unter unserem Landrat auch nichts ändern. Die Kreisbevölkerung schrumpft - die Kreisstadt wächst. So ist das bei uns. Sie wächst und wächst. Wie ein Krake! Die umliegenden Gemeinden wuchern zu einem riesigen, gesichtslosen Konglomerat zusammen - der Metropole von morgen.
Und genau das verstehen unsere Granden unter "Entwicklung". Ewiges Wachstum - mehr fällt ihnen nicht ein. Mit dem neuen Bebauungsplan überschreitet Herschfeld endgültig die Schwelle vom "Dorf" zur künftigen "Vorstadt". Ob in München, Zwickau oder Paris: Alle Vorstädte gleichen sich. Sie sind hässlich. Verstopfte Einfallsstraßen, verdichtete Bebauung, öde Langeweile. Und in allen Vorstädten finden sich zwischen trostlosen Wohnburgen ein paar leerstehende Bauernhöfe. Sie erinnern an alte Zeiten.
Wie drückte es Martin Eckert in herrlichem "Architektensprech" aus: "Wir planen moderne, kubistische Hausformen." Na also! Mit Kubismus kennen wir uns aus. Man braucht sich nur das weithin sichtbare Wahrzeichen unseres schönen Industriestädtchens anzuschauen, den 80 mal 40 mal 40 Meter großen "Pappophag". Er fügt sich harmonisch ins Ortsbild. Außerdem geht es nicht um Ästhetik. Es geht ums "Diridari"! Ein paar Investoren sahnen ab - und die Allgemeinheit "profitiert". Win-win! Warum wollen drei der Geldgeber ihre Namen nicht nennen? Schämen sie sich etwa? Wofür?
Die meisten der 145 "Wohneinheiten" sind als Single-Apartments konzipiert. Singles gehört die Zukunft! Nobelpreisträger Konrad Lorenz bezeichnete moderne Massenbehausungen einmal als "Wohnställe für Nutzmenschen". Viele der Herschfelder Kubus-Bewohner werden wohl im nahen Rhön-Klinikum arbeiten, dem "Campus". Auch dieser Neubau setzte architektonische Maßstäbe. Raus aus dem Klotz – rein in den Klotz! Eine Stadtentwicklung im Sinne unserer Ü60-Granden garantiert künftigen Generationen ein schönes Leben. Vielleicht wird bis zum ersten Spatenstich ja noch ein bisschen "umgeplant". Aber der Anfang ist gemacht. Und vom hippen Brend aus sieht man die klobigen Dinger ja angeblich gar nicht. Schade. Man muss sich das vorstellen!