Es ist offenbar ein fruchtbares Konzept, das sich Peggy Geßner und David Henkes für die neue Vorlesesaison von „Mellrichstadt liest“ zurechtgelegt haben, nämlich Ausflüge und Stippvisiten in verschiedene literarische Genres zu starten und jeweils einige Textkostproben dafür zu liefern. Am vergangenen Sonntag war es der Bereich der Jugendliteratur, aus dem die beiden Moderatoren zusammen mit Gastleserin Rita van Eckert insgesamt acht Texte von Jugendbuch-Autoren ausgesucht hatten.
Das war ein ziemlich buntes Programm von Texten. Peggy Geßner führte zu Beginn gleich ein besonders amüsantes englisches Textstück von Dr. Seuss vor. Der amerikanische Autor liebt es, mit zungenbrecherischen Reimen in der englischen Sprache zu jonglieren. Ein Schocker dagegen war die Parodie „Das Märchen vom Wunschkind“ von Georg Sanderberg, das David Henkes vorlas.
Das böse Wunschkind
Das Wunschkind, ein Mädchen, kann gar nicht genug Märchen erzählt bekommen, es identifiziert sich immer mehr mit den Märchenfiguren und wird dabei in ihrem Verhalten zu ihren Eltern immer rücksichtsloser und grausamer. Das alles wird in Zitate aus den Grimmschen Märchen verpackt. Zum Schluss hackt es dem Vater den Kopf ab und vertreibt die Mutter mit der Peitsche, so wie der erboste Vater im Märchen „Tischlein deck dich“ die lügnerische Ziege aus dem Haus peitscht.
Rita van Eckert hatte als ersten Beitrag den Anfang des Jugendromans „Wohin du mich führst“ des israelischen Autors David Grossman ausgewählt. Der vom Titel angedeutete Führer ist der Hund Dinka, den der 16-jährige Assaf zu seiner Besitzerin Tamar zurückbringen soll. Dabei wird er von dem Hund zu verschiedenen Personen geführt, die Tamar kennen und von ihr erzählen. Diese Handlung wird mit einer zweiten Handlung, nämlich der um Tamar, kunstvoll zu einer Drogen- und Rettungsgeschichte verbunden.
Peggy Geßner hatte von dem walisischen Autor Roald Dahl die Erzählung „Hexen hexen“ ausgewählt, die einen kindhaften Ton anschlägt. Der Held der Erzählung, ein Junge, wird unfreiwillig Zeuge einer Hexenkonferenz, bei der die Hexen ihre wahre Gestalt, Ausbünde an Hässlichkeit, offenbaren. Und er kriegt mit, wie die Hoch- und Großmeisterhexe vor Wut tobt, weil ihre Genossinnen viel zu wenige Kinder verzaubert haben. Geßner trug den Text mit großartiger Stimmführung vor, besonders, wenn sie das Kreischen der Großmeisterin nachahmte.
Das Thema des Sterbens und Weiterlebens nach dem Tod hat Astrid Lindgren in ihrem Kinderbuch „Die Brüder Löwenherz“ aufgegriffen. Von David Henkes vorgetragen, erfuhren die Zuhörer, dass der kranke Karl von seinem älteren Bruder Jonathan aus einem brennenden Haus gerettet wird, wobei der Bruder aber ums Leben kommt. Als Karl an seiner Krankheit stirbt, treffen sich die Brüder wieder in einem Land im Jenseits, genannt Nangijala. Das scheint das Paradies zu sein, aber es gibt auch hier das Böse in Gestalt des Tyrannen Tengil und des Verräters Jossi.
Die Ängste der Einwanderer
In der Wirklichkeit unserer Zeit spielt dagegen „Der unvergessene Mantel“ von Frank C. Boyce. Zwei Einwandererkinder aus der Mongolei stehen im Mittelpunkt, zusammen mit ihrer Mitschülerin, die ihre „Ratgeberin“ wird. Anhand von wiedergefunden Fotografien erzählt das Mädchen, jetzt als Erwachsene, unter welchen Ängsten von Aberglauben und vor allem vor dem Abgeschoben werden die illegalen Einwanderer in England leben. Rita van Eckert hatte die ersten Kapitel dieser Geschichte einer Kinderfreundschaft ausgewählt.
In dem für Kinder und Jugendliche geschriebenen Buch „Bibbi Bokkens magische Bibliothek“ von Jostein Gaarder geht es viel um Literatur und Philosophie. Was ist Lüge, was Wahrheit? Ist Fantasie schon Lüge? Solchen Fragen gehen die beiden intelligenten Tagebuchschreiber Berit und Nils nach, werden dabei in rätselhafte Ereignisse verwickelt, bei denen die geheimnisvolle Bibbi Bokkens und eine unheimliche Bibliothek eine wichtige Rolle spielen. Peggy Geßner führte mit einigen Ausschnitten in diesen Jugendroman ein.
Den Schlusspunkt setzte David Henkes mit „Mister Fenton spielt“ von Walter Hamann. Der Herr Fenton hat das verrückte Hobby, sich als Tier zu verkleiden und in einem Gehölz bei seinem Haus zu verstecken – seine Frau muss ihn dann suchen. Beim Verkleiden hat der schrullige Mensch eine gewisse Perfektion erreicht. Frau Fenton ist davon ziemlich beeindruckt. Besonders die Nummer mit dem Bären wirkt sehr realistisch auf sie. In der Tat ist sie zu realistisch, denn der Bär ist echt, was letztendlich tödliche Folgen für Frau Fenton hat.
Peggy Geßner verabschiedete ihre Zuhörer mit dem Hinweis, dass die nächste Folge von „Mellrichstadt liest“ am 7. Dezember sein wird. Dann geht es um Gedichte. Gastleserin wird Linde Unrein sein, die Künstlerin, die zurzeit im Café Art Bilder ausstellt.