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MELLRICHSTADT
Vom Unganzen zu Sinnfeldern
Gruppenbild mit Herr: Diese Personen hatten maßgeblich zum Gelingen der Vernissage in der Kreisgalerie beigetragen: (von links) Astrid Hedrich-Scherpf, Bürgermeister Eberhard Streit, Künstlerin Linde Unrein, Katharina Winterhalter und die beiden Musikerinnen aus Leipzig, Franziska Klimpel und Susannes Schlabes.
Foto: Fred Rautenberg | Gruppenbild mit Herr: Diese Personen hatten maßgeblich zum Gelingen der Vernissage in der Kreisgalerie beigetragen: (von links) Astrid Hedrich-Scherpf, Bürgermeister Eberhard Streit, Künstlerin Linde Unrein, ...
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 28.10.2014 13:25 Uhr

Erstaunlich gut besucht war die jüngste Vernissage in Mellrichstadts Kreisgalerie am Sonntag; erstaunlich aber auch, dass die Besucher zum weit überwiegenden Teil von auswärts kamen. Freunde und Bekannte der Künstlerin Linde Unrein, deren Werke jetzt bis zum 6. Januar betrachtet werden können. Einheimische Mellrichstädter dagegen konnte man fast an einer Hand abzählen.

Einer der Einheimischen war Mellrichstadts Bürgermeister Eberhard Streit. Er begrüßte zur Vernissage die Schweinfurter Redakteurin Katharina Winterhalter, die Kulturreferentin des Landkreises Rhön-Grabfeld Astrid Hedrich-Scherpf sowie die beiden jungen Musikerinnen Franziska Klimpel und Susanne Schlabes aus Leipzig. Sein besonderer Willkommensgruß galt der Schweinfurter Malerin und Lyrikerin Linde Unrein. Sie sei auch Wissenschaftlerin und Ärztin, und das mache ihn sehr neugierig auf das, was über das Werk der Künstlerin gesagt werde, bekannte Streit.

Katharina Winterhalter hatte sich intensiv mit dem Werk, besonders dem bildnerischen, von Linde Unrein auseinandergesetzt. Sie konstatierte, dass die Künstlerin nach einer Phase figürlicher Malerei nach neuen Ausdruckformen suchte, immer aber getrieben von der „puren Lust am Zeichnen, Malen und Schreiben“. Das verschaffe ihr die Möglichkeit, „sich den Zwängen und Notwendigkeiten des Alltags zu entziehen“.

Was aber habe die analytisch denkende Wissenschaftlerin getrieben, sich künstlerisch auszudrücken? Offenbar sei damit eine Art von Befreiung verbunden. Von Peter Rühmkorf hatte sie einen Denkanstoß aufgenommen, der für sie fruchtbar wurde: die „Sehnsucht der Fragmente“ – so auch der Titel der Ausstellung. Dahinter steht die Erfahrung, dass wir nie in der Lage sind, die ganze Wirklichkeit zu erkennen. Das aufnehmende Gehirn füllt die Lücken, aber es sei fraglich, ob das der Wirklichkeit entspricht. Mit ihrem künstlerischen Schaffen gebe Unrein ihrem „Begehren nach Vollkommenheit“ nach, obwohl sie weiß, dass diese nicht zu erreichen ist.

So bleibt das Ziel, „die Fragmente in einen neuen Kontext zu setzen“, daraus entstehen dann „Sinnfelder“, wie sie Unrein selber nennt. Die erlauben der Künstlerin wie dem Betrachter damit zu spielen, mit etwas Unganzem, aber nicht Unfertigem. Die Hingabe an dieses Spiel sei „ein Rausch der Freiheit“ für die Künstlerin, verbunden mit einem „liebenden, ja zärtlichen Verhältnis zu den Dingen“.

Den kreativen Schaffensprozess umriss Katharina Winterhalter anhand der zwei Bilder „Phantasmen in der Landschaft“ und der Serie „Sinnfelder 1 bis 5“, die in der Ausstellung zu sehen sind. Fragmentarische Fundstücke stehen am Anfang, ein Schatten, eine Idee, eine Emotion, sogar so etwas Banales wie ein blaues Wollknäuel. Das jeweilige Teil soll dann in einen Kontext mit anderen Teilen gebracht werden, es könne gar ein „Krieg der Fragmente sein“, empfand Winterhalter, was Linde Unrein nicht abstritt. Unrein bleibe primär immer Zeichnerin, auch wenn sie malt, fasste Winterhalter zusammen. An beides, Malen und Zeichnen, gleichberechtigt nebeneinander, stelle sie hohe formale Ansprüche; offenbar aber auch an ihre lyrischen Arbeiten, nebenbei gesagt. Unrein hat bereits auch zwei Gedichtbände herausgebracht, Kostproben sind in den Ausstellungsräumen zu lesen. Schreiben, zeichnen und malen verschaffe der Künstlerin „totale Befriedigung“, bis hin zur Sucht. Die selbstkritische Reflexion komme hinterher: „Hat das, was ich tue, Bedeutung?“

Bei Linde Unrein, sagte Winterhalter, könne sie diese Frage unbedingt mit Ja beantworten. Sie schloss ihre Hommage mit dem aufschlussreichen Gedicht „eigen.art“, in dem sich die Autorin an sich selbst oder ihren Leser wendet und eine für sie grundlegende Einsicht in die Grenzen unserer Wirklichkeitserkenntnis formuliert. Das Gedicht endet mit den Versen: „bleibst ein einzelner / herausgefallener / musst dir schon deine / heimaten eigen dichten“.

Die Vernissage wurde musikalisch von zwei jungen Künstlerinnen aus Leipzig bereichert. Sie spielten auf dem Akkordeon und mit verschiedenen Flöten faszinierende Eigenkompositionen, die ein großes Talent erkennen ließen. Sie erhöhten damit zusätzlich die künstlerische Qualität der Eröffnungsfeier. Sie fanden bewundernden Applaus.

 
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