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Bad Neustadt
Vom Übungskopf zu echten Kunden: Maria Blümm aus Bad Neustadt spricht über die Faszination des Friseurhandwerks
Zwischen Dauerwelle und Kundenwünschen wird der Alltag zur spannenden Lehrzeit. Der Friseurberuf zeigt, wie intensiv die Verbindung zu den Menschen werden kann.
Über ihre Lehrzeit als Friseurin spricht die Bad Neustädterin Maria Blümm.
Foto: Daniel Karmann (Symbolbild) | Über ihre Lehrzeit als Friseurin spricht die Bad Neustädterin Maria Blümm.
Bearbeitet von Maria Blümm
 |  aktualisiert: 19.10.2024 02:33 Uhr

Nun war es so weit. Die Türen der Schule schlossen sich hinter uns, ein neuer Lebensabschnitt begann. Die Schulzeit war zu Ende, der Eintritt ins Berufsleben stand bevor. Mit großer Spannung erwartete ich meinen ersten Arbeitstag. Ich hatte mich entschlossen, eine Friseurlehre im elterlichen Betrieb zu absolvieren.

Der Arbeitsplatz war für mich nichts Neues, der Friseursalon war mein zweites Zuhause. Ich wuchs zwischen Lockenwicklern, Haarbürsten und Rasierpinseln auf. Nun sollte diese Arena mein Arbeitsplatz für die nächsten drei Jahre werden.

Es war keine Liebesheirat, eher eine Zweckgemeinschaft

Es war keine Liebesheirat, eher eine Zweckgemeinschaft. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten sollte. Von nun an war mein Vater mein "Chef" und das war etwas ganz Neues. Mein Papi, mein Chef? Alles, was mir bisher vertraut war, stand in einem ganz anderen Verhältnis. Der Lehrvertrag lag auf dem Tisch, mit Arbeitsbestimmungen, Rechten und Pflichten.

35 Mark verdiente ich im ersten Lehrjahr, worauf ich mächtig stolz war. Die angestellten Frisörinnen und Frisöre waren nun Kolleginnen und Kollegen und nahmen Vorgesetztenstellung ein.  Zusammen mit mir begann Tag meine Schulfreundin Lieselotte die Lehre. Wir beide waren also die "Stifte", wie man damals zu sagen pflegte.

Damals glaubte ich so ziemlich alles zu wissen rund um die Schönheit von Frau und Mann, aber da hatte ich weit gefehlt. Mir tat sich eine Welt auf, die ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. Die kommenden Wochen und Monate zeigten, dass aller Anfang schwer ist. Zunächst wurden wir von den Gesellen eingewiesen, was täglich am Morgen zu tun ist.

Der Übungskopf war ein täglicher Begleiter

Der Übungskopf war unser täglicher Begleiter. An ihm wurde das Dauerwellwickeln geübt, Frisuren gestaltet und manche Haarsträhne trieb uns zur Verzweiflung. Wir lernten den Umgang mit den Kunden und auch die Wünsche einer jeden Frau, mochten sie auch noch so verwunderlich gewesen sein, zu erfüllen.

Da gab es die Frau, die immer ein Eigelb mitbrachte. Das musste nach dem Haarewaschen in das Haar einmassiert werden. Für mich ein großes Problem. Die Dame hatte langes Haar und sie hatte den Kopf über dem Waschbecken nach vorne gebeugt. Die Schwierigkeit bestand darin, dass das Eigelb schnell einmassiert wurde und dabei nicht im Ausguss verschwand.

Eine andere Kundin bestand auf ihrem Zitronensaft und Frau Weigel schwor auf Bier zur Festigung der Haare. Heute kann man darüber lachen, doch es hatte alles seine Berechtigung. Wir lernten damit umzugehen, „der Kunde ist König!“

Große Achtung vor der Lebensleistung der Eltern

Die Tage waren ausgefüllt, die Füße und Hände taten weh und am Abend ersehnte ich nichts mehr, als mein Bett. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Zum ersten Mal erkannte ich, was es heißt, zu arbeiten. Eine große Achtung vor der Lebensleistung meiner Eltern begann in mir zu wachsen.

Mit jeder Woche entdeckte ich aber auch die Freude an diesem Beruf. So nach und nach lernte ich die Kundinnen und Kunden näher kennen. Wusste ihre Namen und kannte ihre Geschichte. Die Zeit beim Frisör war nicht selten auch dazu bestimmt, den Kummerkasten zu leeren, Sorgen zu teilen und im Nachhinein, mit einem neuen Frisuren-Trend und einem lächelnden Gesicht beim Blick in den Spiegel, die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Frisörin sein bedeutet, den Menschen nahe zu sein

Frisörin sein bedeutet, den Menschen nahe zu sein. Ihr „Ich“ zu unterstreichen und so nicht selten, den Blick in die Seele zu werfen und wenn nötig zu helfen oder einfach nur zuzuhören.

Die großen Beschwernisse unseres Lebens sind Leid, Schuld und Tod. Da brauchen wir manchmal einen Zuhörer und nicht selten eine optische Veränderung. Manchmal wirkt eine neue Frisur wie eine Medizin. Nicht selten hörte ich den Satz: „Jetzt bin ich wieder ein Mensch!“ Das gab ein Gefühl des Wohlbefindens preis, auf beiden Seiten.

Doch nicht immer löste der Besuch beim Frisör helle Begeisterung aus. Für Kinder war es oft ein Pflichtbesuch und Teenys hatten andere Vorstellungen von Frisuren als die Eltern. Ich erinnere mich noch heute an einen Fall, der mir Schauer über den Rücken jagt.  Die Türe flog auf und hereinstürmte eine wütend schnaubende Mutti.  An der Hand zerrte sie ihre heulende Tochter, ein blondes, zartes Mädchen mit schulterlangem Haar.

Das war bitter: Neuer Haarschnitt als Strafe

"Auweia, da kommt was auf mich zu", dachte ich. Und richtig: „Hinsetzen“, befahl die Mutter. Dann erklärte sie mir, dass die Haare auf Kinnlänge gekürzt werden müssen. Der Blick in den Spiegel offenbarte mir ein Häufchen Elend. Ich versuchte die Mutter mit allen Mitteln umzustimmen. Ich zeigte ihr Alternativen, ohne Erfolg. Das Kind weinte bitterlich und die Mutter drohte: "Du weißt warum!" Nun begriff ich, es handelte sich um eine Strafe.

Das machte es für mich auch nicht besser. Ich kam mir vor, wie ein Scharfrichter. Ich begann mit meiner Arbeit. Jeder Schnitt in das Haar war wie ein Schnitt in die kindliche Seele. Mit jeder Strähne geschnittenen Haares flossen Tränen und nebenan hörte ich den Kommentar der Mutter: „Es darf kürzer werden.“

Mir war klar, dass ich für das Mädchen die „Böse“ sein werde. Ihr Leben lang wird sie sich an dieses Geschehen erinnern und das schaffte mir Unbehagen. Das kleine Mädchen sah mit ihrer neuen Frisur schön aus, aber sie war unglücklich – sie wollte lange Haare, wie es sich die meisten Mädchen wünschen. Weinend verließ sie mit ihrer Mutter den Salon. Weltuntergangsstimmung herrschte auch bei mir. Einen schwachen Trost gab es: „Es wächst ja wieder!“ Ich konnte das kleine Mädchen so gut verstehen, aber helfen konnte ich ihr nicht.

Eine Frisur ist ein Stück Identität

Es gab aber auch sehr viele schöne Momente, in denen aus einem unscheinbaren Mädchen eine wunderschöne Braut wurde. Eine Frisur ist ein Stück Identität. Ein bad hair day konnte alles vermasseln, eine verschnittene Frisur Weltuntergangsstimmung auslösen und Haarausfall kam einem Supergau gleich.

Wenn eine Hochzeit ins Haus stand, wurde monatelang zuvor geplant, Frisurenkataloge gewälzt, der Termin beim Frisör bestellt. Meistens holte man mich ab, um im Hause der Braut den Schleier zu stecken. Manchmal stellten die Wünsche der Braut auch mich vor ein Rätsel.  Sehr dünnes, ausgefranstes Blondhaar, das dringend hätte geschnitten werden müssen. Ausgerechnet diese Frauen wollten immer eine voluminöse Mähne.

Doch ich war vorbereitet. „Was haben sie sich vorgestellt? Eine Hochsteckfrisur oder tragen sie es lieber offen?“ „Keine Ahnung“, und schon kullerten Tränen über die frisch geschminkten Augen. "Der Bräutigam möchte gerne fluffige Locken, meine Mutter ist für eine Hochsteckfrisur und ich, - ich hätte gerne etwas Weiches, Schwingendes. Ach, ich weiß nicht."

Die schönen Seiten eines Menschen unterstreichen

Geduldig hörte ich mir alles an. Vor meinem inneren Auge nahm bereits eine fantastische Frisur Gestalt an. "Sie haben sehr feines Haar", sagte ich ruhig. "Wir könnten mit kleinen, künstlichen Haarersatz ein wenig nachhelfen. Was halten sie davon?" „Ja, machen sie das“, lächelte sie dankbar. Mit Lockenstab und viel Haarspray entstand tatsächlich eine tolle Brautfrisur. Zum Schluss wurden ein Perlenreif und der Schleier eingearbeitet. Der gesamte Raum verfiel in gespanntes Schweigen. Niemand wagte auch nur zu flüstern.

Nach einer Stunde waren wir fertig: Jetzt kam der besondere Moment. Ich verspürte Lampenfieber. Sie trat vor den Spiegel. Ihre Mutter kam herein: „Oh Gott, oh Gott, wie bist du wunderschön!“ Und schon begann ein Blitzlichtgewitter. Ehe ich mich versah, saß die nächste Kundin auf dem Stuhl. Dann die Nächst und Nächste. Jede wollte schön sein und das Entzücken der Frauen sprach für sich: „Wow, einfach perfekt!“, sagten die jungen Frauen, während sie sich im Spiegel begutachteten. „Haare gut, alles gut!“

Das waren auch für mich unbeschreibliche Momente, zu wissen, die schönste Seite eines Menschen zu unterstreichen und sie dabei und sich selbst glücklich zu machen. Mein Beruf führte mich in all den Jahren zu der Erkenntnis, dass ein gepflegtes Äußeres auch das Gleichgewicht der Seele bewirkt. Dieser Beruf hat mich mit unzählig vielen schönen, eindrucksvollen Begegnungen beschenkt.

 
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  • Daniela Treutlein
    Schon der Duft nach Haarspray, Shampoo und Festiger im Salon löste bei mir Wohlbefinden ein.
    Ein sehr kreativer und abwechslungsreicher Beruf..
    Leider (meiner Meinung nach) werden die Angestellten zu schlecht belohnt, für die Leistung die sie erbringen... 🤷🏻‍♀️
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