Liebe. Leidenschaft. Entsagung. Schuld. Edelmut. Hass und Selbsthass. Es ist für uns reizüberflutete Menschen nicht ganz einfach, in die Welt der zeitlosen Themen der griechischen Mythologie einzutauchen. Zumindest, wenn sie auf der Bühne präsentiert werden.
Etwa in die Welt zu treten, die der französische Dramatiker Jean Racine – nach einem Trauerspiel von Euripides – 1677 mit „Phädra“ schuf, und das Friedrich Schiller in die reimlosen Jamben des deutschen klassischen Dramas übersetzte. Im Meininger Theater wurde mit diesem Stück die neue Spielzeit eröffnet. Ohne Blitz. Ohne Donner. Man könnte sagen: In schmerzlich reiner Klarheit von Worten und Gedanken.
Ja, anfänglich tut es in dieser Inszenierung von Lars Wernecke weh, den Dialogen und Monologen der tragischen Helden zu folgen, die in wunderbar reinen Blankversen parlieren, in zeitlos moderne Gewänder gehüllt sind, barfuß auftreten (Verletzlichkeit!), reflektieren, intrigieren, hassen, falschen Vermutungen nachjagen, von Eifersucht zerfressen sind und sich gleichzeitig nach Lust und besitzergreifender Liebe sehnen: Theseus' Frau Phädra (Anja Lenßen) etwa, die nach dem vermuteten Tod ihres Gatten (Ingo Brosch), ihre Liebe zum Stiefsohn Hippolyt (Hagen Bähr) offenbart, der das Ansinnen schockiert zurückweist.
Askese, Edelmut, Liebe
Hippolyt, der, hin- und hergerissen zwischen Askese, Edelmut und tiefen Liebesgefühlen zur am Hofe gefangen gehaltenen athenischen Thronfolgerin Aricia (Alexandra Riemann) zur Flucht bereit ist.
Die Vertrauten (Rosemarie Blumenstein, Hans-Joachim Rodewald, Ulrike Walther), die versuchen, die Lage ihrer Herrschaften zu verbessern und dennoch das Gegenteil bewirken. Der nach Hause zurückkehrende Theseus, der glaubt, was ihm von Phädras Amme eingeredet wird, daraufhin seinen eigenen Sohn verstößt und ihn dem Walten der Götter überlässt.
Über all diese Verstrickungen wird unablässig in wohlerwogenen Worten gesprochen. Vor dem Hintergrund der kargen Kulisse einer hell getünchten, offenen Rundhalle, die sich innen und außen gegenläufig dreht und damit ein soziales und psychisches System symbolisiert, das trotz nach außen getragener Offenheit innerlich schicksalhaft verschlossen ist. Ausstatter Dirk Immich hat dieses Bild – ergänzt durch eine sandige Fläche im Vorhof – eindrucksvoll in Szene gesetzt. Es gibt kein Entrinnen aus dieser Welt der eisernen Regeln und des mythischen Glaubens, trotz der Gärungsprozesse unter dem Mantel von Konvention, Tradition und Moral.
Und da sich vor diesem kargen Bild Dramatik und Dynamik der Verstrickungen lange Zeit mehr durch Worte als durch Taten manifestieren, schmerzt anfangs die Aufmerksamkeit, die man als Zuschauer/Zuhörer der Sprache entgegenbringen muss.
Schiller beflügelt
Sie schmerzt weit mehr als in einem Stück, in dem Blitz und Donner die Handlung vorantreiben. Weil sie stete Konzentration erfordert.
Was den Schmerz mehr als erträglich macht? Die Art und Weise, wie sich die Schauspieler – besonders Anja Lenßen und der Meininger Debütant Hagen Bähr – in ihre Rollen hineindenken, hineinfühlen, hineinsprechen. Einfach großartig! Als ob Friedrich Schiller, der Zuchtmeister der klassischen deutschen Sprache, die Artikulationskraft der Mimen beflügeln würde.
Flüchtigkeit der Tugenden
Ob die Schönheit der Sprache („Mich schmerzt des Tages ungewöhnlicher Glanz“, „Träum ich? Wach ich? Und ist dies alles Wirklichkeit?“) Auswirkungen auf unseren heutigen Umgang mit Liebe, Leidenschaft, Entsagung, Schuld, Edelmut, Hass und Selbsthass hat, sei dahingestellt.
Eins jedoch ist sicher: Nach diesem Meisterstück des klassischen Schauspiels verlässt man den Meininger Musentempel, trotz Ahnung von der Flüchtigkeit der Tugenden, etwas erhabener und erhobener – ganz im Sinne des Theaterherzogs.
Nächste Vorstellungen: am 26. September um 19.30 Uhr und 12. Oktober um 19 Uhr. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222 oder -137. www.das-meininger-theater.de