Wo Tradition noch großgeschrieben wird, ist im Schützenverein Kleineibstadt. Ein besonderer Höhepunkt ist der alljährliche Vogelschuss – ein Wettkampf, der Schützen und Zuschauer fesselt. Schon im Vorfeld wird ein kunstvoller Holzvogel gesägt, verleimt und bemalt. Doch sein Schicksal ist besiegelt: Innerhalb weniger Stunden wird er Stück für Stück zerlegt, bis der neue Schützenkönig oder die Schützenkönigin feststeht.
Am Freitag und Samstag war es wieder so weit. Sechs Jugendliche und 23 Erwachsene traten an, um sich dem Wettkampf zu stellen. Jeder Schuss erhöhte die Spannung. Die Gespräche drehten sich nur um eine Frage: Wo muss der nächste Treffer sitzen, damit der Vogel fällt? Nach drei Stunden 20 Minuten und 255 Schüssen fiel der Jugendvogel. Bei den Erwachsenen hielt er noch acht Schüsse länger stand, bis er nach drei Stunden 28 Minuten und 263 Treffern nachgab. Die Zeremonie folgt festen Regeln: Wer den rechten Flügel herab schießt, wird 1. Ritter, der linke bestimmt den 2. Ritter. Doch das begehrteste Stück ist der Rumpf – wer ihn zu Fall bringt, trägt ein Jahr lang den Titel des Schützenkönigs oder der Schützenkönigin.
Besonders spannend wird es, wenn nur noch der Körper übrig ist. Dann beginnt der wahre Nervenkitzel: Jeder Treffer bringt ihn ins Wanken, ein Raunen geht durch die Menge. Die Schützen beraten sich fieberhaft: Wo trifft man am besten? Der Nebenraum wird zum Hexenkessel, bis endlich der entscheidende Schuss fällt – und der Jubel losbricht.
Diese traditionsreiche Veranstaltung zieht jedes Jahr viele Teilnehmer und Zuschauer an. Kurzentschlossene können sogar spontan mitmachen – vorausgesetzt, sie sind rechtzeitig vor Ort.
Doch der Vogelschuss ist mehr als ein Wettkampf. Er ist ein gesellschaftliches Ereignis, das den Zusammenhalt stärkt. Der neue Schützenkönig oder die Schützenkönigin vertritt den Verein bei Veranstaltungen wie dem Feuerwehrumzug oder dem Oktoberfest in München.
Und wer weiß – vielleicht geben Sie im nächsten Jahr den entscheidenden Schuss ab. Neugierige sind herzlich eingeladen, beim Training vorbeizuschauen.
Von: Michael Richter (Trainer, SV Kleineibstadt)
