"Nimm viele Taschentücher mit", rät eine Opernkennerin, "du wirst sie brauchen". Naja, es könnten schon einige Tränen kullern bei Hendrik Müllers Inszenierung von Puccinis Oper "Madama Butterfly" am Meininger Theater.
Natürlich bewegen sich Herz und Seele bei der von Deniz Yetim als Madama Butterfly hinreißend interpretierten Sehnsuchtsarie im zweiten Akt. Und bei der Todes- und Schlussarie, wenn Butterfly noch einmal das Kind an sich drückt, bevor sie sich das Leben nimmt.
Was die Musik von Puccini ausmacht
Zwischendurch kullert noch eine Träne bei der von der Meininger Hofkapelle unter Chin-Chao Lin zartfühlend untermalten Passage im Übergang zum dritten Akt, als sich Butterfly unterm Sternenhimmel eine stilles Vater-Mutter-Kind-Glück herbeiträumt.
Man ist fasziniert von der vielschichtigen Musik Puccinis, die wie selbstverständlich westliche und fernöstliche Klänge zu einer großen dramatischen Einheit verschmilzt. Man ist beeindruckt von der vermeintlichen Leichtigkeit, mit der das Orchester die Musik den wechselvollen Stimmungen der Charaktere anpasst und wie der Chor unter Roman David Rothenaicher diese Stimmungen zu verstärken vermag.
Man ist hingerissen von Deniz Yetim, von ihrer empathischen, in allen Höhen und Tiefen stimmsicheren Ausdruckskraft. Und man ist angetan von der gesanglichen und schauspielerischen Kunst der Sängerinnen und Sänger, die sich um die Heldin scharen, vor allem von Tamta Tarielashvili als Dienerin Suzuki, von Johannes Mooser als Konsul und von Nenad Čiča vom Bielefelder Theater, der für den erkrankten Alex Kim kurzfristig die Rolle des Marineleutnants Pinkerton übernahm.
Handlung: Unsterblich verliebt und zum katholischen Glauben konvertiert
Und die Geschichte selbst? Puccinis Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica verorten sie ja im Jahr 1900 in Nagasaki. Der Amerikaner Pinkerton erwirbt für 999 Jahre – bei monatlicher Kündigungsfrist! – ein Anwesen, samt Geisha Cio-Cio-San, genannt "Butterfly", die er en passant zu seiner Braut macht.
Die verliebt sich unsterblich in den gutaussehenden Schnösel, der das Ganze als Bagatelle betrachtet. Nach kurzer Zeit verlässt er das Land. Und die treue, eigens zum katholischen Glauben konvertierte und von ihrer Familie geächtete Butterfly wartet vergeblich auf ihren Geliebten.
Großprojektionen von Butterflies Gesicht sind zu sehen
Die Liebe ist so obsessiv, dass sie sich dabei ganz und gar in einer Welt aus Illusionen verliert. Insofern ist die durch Großprojektionen von Butterflies Gesicht verstärkte Aussage des Regisseurs schwer nachvollziehbar: Cio-Cio-San sei eine "starke, leidenschaftliche Frau, die ihre Besessenheit, ihren Traum bis in den Tod hinein verteidigt". Was, bitte, ist an Besessenheit stark?
In der zeitlosen exotischen Fantasy-Welt, in der der Regisseur und Bühnenbildner Marc Weeger sowie die Kostümbildnerin Katharina Heistinger das Geschehen verorten, ist der Bau von hermetisch geschlossenen Wolkenkuckucksheimen eher ein Zeichen von Stereotypisierung der Figuren oder vom Realitätsverlust der Heldin.
Von "America first", Barbie und einer bedrohlichen Wolkenkulisse
Die Regie-Idee jedoch, das Geschehen in eine Fantasiewelt zu verlegen, ist raffiniert: Barbie und Ken in der Welt japanischer Manga-Comics: "Ken" Pimperton landet als amerikanischer Astronaut auf dem schrägen Dachgarten seines künftigen Anwesens, trifft dort auf allerlei erstaunlich kostümierte Wesen, betrachtet das Ganze aber mit dünkelhaftem "America first"-Gestus und kehrt am Ende mit einer amerikanischen Barbie zurück. Kulturelle Überheblichkeit - satirisch überzeichnet. Das liefert farbenprächtige Fantasiebilder vor wahrlich bedrohlicher Wolkenkulisse.
Letztendlich aber ist es eine Spielerei, die vor der betörenden Macht von Musik und Gesang erfreulicherweise respektvoll in den Hintergrund tritt. Das Ende ist gewaltig. Noch einmal tut das Taschentuch seine Pflicht. Dann Dunkelheit. Und gleich danach bricht der Beifall los.
Nächste Vorstellungen: 17. und 26. Mai, 8. und 15. Juni. Kartentelefon: (0 36 93) 451-222. www.staatstheater-meiningen.de