Es war kein umstrittenes Projekt in diesem Jahr. Es gab keine Diskussionen im Vorfeld. Eine/n Betende/n kann man ohne weiteres verbrennen – so scheint es. Zumal es sich ja nur um eine Holzfigur handelt. Beten ist nicht laut. Und das symbolische Verbrennen von Betenden scheint in der Bevölkerung nicht annähernd auf das gleiche Interesse zu stoßen, wie damals das Madonnenbild. Und das Wetter tat das übrige dazu, dass die Sonnwendgemeinde am Dicken Turm in Niederlauer anlässlich der Feueraktion von Jimmy Fell nicht annähernd so groß war, wie im letzten Jahr.
Wer dort war, der wurde jedoch Zeuge einer eindrücklichen Feuershow. Gegenüber dem Madonnenbild hat Jimmy Fell mit vielen Helfern aus dem Sportverein Niederlauer die Figur eines/r Betenden aufgebaut, die um 21.30 Uhr angezündet wurde.
Es dauerte nicht lange, bis aus dem Kopf der Figur Flammen schlugen. Sie erinnerten mich an die Flammen des Heiligen Geistes die auf den Köpfen der Jünger anlässlich des Pfingstfestes züngelten. Oder an die vielen muslimischen Darstellungen des entflammten Mohammed. Aber unmissverständlich machte die Aktion auch klar, dass über die Jahrhunderte hinweg Menschen verbrannt wurden.
Muslime verbrannten Christen. Und radikale Muslime tun das heute noch. Christen köpften und verbrannten Muslime. Und radikale Christen würden das heute noch gerne tun. Wer aus Sicht der Kirchen falsch betete und betet – so war lange der offizielle Tenor – musste weg. Kirche und andere spirituelle Formen – das geht bis heute nur schwer zusammen. Selbst Jimmy Fell verkniff es sich, das geplante Rosenkranzgebet im Hintergrund der Feueraktion einspielen zu lassen: Zu provokant in diesem ländlichen Raum! Zu sehr könnten fromme Gefühle verletzt werden.
Im Gegensatz zu solch existentiellen Fragen stand der offizielle Festbetrieb. Bier wurde ausgeschenkt und Bratwürste wurden verteilt. Die Menschen unterhielten sich über das Wetter und über tagesaktuelle Themen (Brexit). Man fragte: Wie geht es dir? Der neueste Dorfklatsch wurde ausgetauscht. Schulterklopfen. Das Handy gezückt. Und das diesjährige Feuer immerhin auf Facebook gepostet. Niemand nahm Anstoß am Geschehen. Eine Kunstaktion wie viele. Hauptsache: Ein netter Event. Auch die Kirchen fühlten sich nicht herausgefordert: Zu sehr beschäftigt mit hochtheologischen Fragen, wie etwa wohlfeilen Baulastfragen.
Bazon Brock, ein ehemaliger Kunstprofessor aus Wuppertal, erzählte dazu folgende Geschichte (Quelle: Jimmy Fell, Email): Ein Kölner Museum veranstaltete eine Ausstellung mit Kunst aus den Kirchen der Umgebung. Eine alte Frau aus einem benachbarten Dorf besuchte die Ausstellung, erkannte die Marienstatue aus ihrer Kirche, kniete sich wie gewohnt nieder und fing an zu beten. Die „Kunstgemeinde“ lachte. Ich stelle mir vor, dass sie sich recht schnell wieder den freundlichen Gesprächen und dem Sektglas zugewandt hat.
Ob Bier und Bratwürste oder Sektgläser – das spielt nicht die Rolle: Beten scheint – wenn überhaupt - gerade noch ein Lächeln wert, ein mitleidiges, wie für das Mütterchen vor seiner Madonnenfigur. Der Beter „kniet in reiner Demut, in sich, in Meditation versunken. Wenn man heute Notre Dame besucht: Zehntausende von Touristen – vielleicht eine Person in einer Ecke betend“ schreibt Jimmy Fell in seiner Erklärung zu seinem Werk.
Aber - so könnte man einwenden - wird nicht immer noch viel gebetet? In jedem Gottesdienst? Fünfmal am Tag bei den Muslimen? Und vor den Götterstatuen von Shiva oder Vishnu in Indien? Den Rosenkranz unter der Woche nicht zu vergessen? Und ist nicht jedes Asana ein Gebet? Jimmy Fells Kunstaktion wäre eine Gelegenheit gewesen laut darüber nachzudenken.
Wie resigniert fällt etwa gegen 22.00 Uhr der Kopf des/r Betenden auf die Brust. Noch lange steht die Gestalt, schimmernd und leuchtend vor dem tiefblauen Nachthimmel so da, bis sie in sich zusammenfällt. Doch wer sich dem „Zauber“ dieser Kunstaktion ausgesetzt hat, hat ihn vielleicht gefunden - diesen Moment zum Niederknien, inmitten von Carmina burana, tiefblauem Nachthimmel und Bratwurstgeruch. Für mich gab es diesen Moment, einen Moment tiefer Berührung, als der Kopf der / des Betenden herunterkippte.
Aber am Ende bleibt die Erkenntnis: Bei aller Kunst der Darstellung – das was mich und vielleicht andere berührt, kann nicht wirklich dargestellt werden. Ganz im Sinne Jesu: Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden (…) Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
Beten ist nichts Äußerliches! Beten ist etwas zutiefst Innerliches. Beten geschieht letztlich im „Verborgenen“ (griech.: Krypta), der Krypta des Lebens. Aber wie soll man das darstellen? Vielleicht am besten dadurch, dass man den/die Betende/n mit all seiner Äußerlichkeit verbrennt.
Bleibt zu hoffen, dass es noch andere gab, die die Kunstaktion von Jimmy Fell berührte – im Verborgenen - ganz innerlich – wie ein Gebet.
Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass mit dem / der Betenden auch das Andachtsbild verbrannte: Die Madonnenstatue vom letzten Jahr. Heimlich und hinterrücks wurde sie vermutlich von unbekannten Tätern angezündet. Ein Wink des Schicksals? Göttliche Fügung? Nicht nur das Beten lässt sich nicht darstellen – auch die Angebetete oder der Angebetete wohnt im Verborgenen (siehe oben: Der Wanderprediger aus Nazareth). Ganz zuletzt also die Frage: Wie soll man mit jenen „Bilderstürmern“ umgehen? Vor 500 Jahren wurden sie verbrannt, von der anderen, der gegnerischen Seite. Inzwischen hat sich die Einsicht breit gemacht: Gegenseitiges Verbrennen hilft nicht. Immerhin könnte das den Raum eröffnen für wirklich Wichtiges: Beten – wenn wir nicht zu beschäftigt wären mit Bratwurstständen und Baufragen.