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UNSLEBEN
„Tante Anna“ wird 95
tk
 |  aktualisiert: 22.12.2015 15:32 Uhr

Am morgigen Feiertag blickt Anna Bardroff auf 95 Jahre eines erfüllten Lebens zurück. Als zweitjüngstes Kind von sechs Geschwistern wurde sie am 3. Oktober 1917 - ein Jahr vor Ende des I. Weltkrieges - in der Streugasse in Unsleben geboren und sie verbrachte hier ihr ganzes Leben.

Die Eltern waren Erwin und Eleonore Bardroff. Der Vater, geboren am 3. Oktober 1871, mit dem sie am gleichen Tag Geburtstag hatte, arbeitete in den 30er Jahren zusammen mit Annas ältestem Bruder Otto beim Dachziegelwerk Ludwig Jessenberger in Unsleben.

Anna Bardroff war in jungen Jahren bei der Brauerei in Bad Neustadt als Flaschenwäscherin und später bei der Firma Bittorf-Elektrotechnik in Mellrichstadt beschäftigt. Anfang der 70er Jahre arbeitete sie bei der Nordbayrischen Holzindustrie in Unsleben. Ein Betriebsunfall durch eine umkippende Fuhre Holz, bei dem sie sich ein Bein brach, beendete ihre berufliche Laufbahn. Seit dieser Zeit ist ein „Stecken“ ihr treuer Begleiter.

Geheiratet hat Anna Bardroff nie und wenn man sie fragt warum, dann winkt sie ab und meint lachend: „Ich hatte eine große Familie bei meiner Schwester Lore in Salz mit siewe Kinner, da wurde ich gebraucht.“ Die Freude war immer groß, wenn sie kam, nie ohne eine Tüte „Züggelich“ in der Hand. Tante Anna gehörte einfach dazu und alle liebten sie. Auch die drei Kinder ihrer Schwester Marie in Volkach besuchte sie oft und half wo sie konnte.

Alle drei Brüder sind im II. Weltkrieg in Russland geblieben. Adolf ist bis heute vermisst, seine Tochter Erna wohnt in Unsleben. Die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch nach Hause kommt, hielt die Eltern am Leben. Mutter Eleonore starb mit 79, von da an kümmerte sich Anna um ihren Vater bis zu seinem Tod. Er wurde 93 Jahre alt.

Als die Frau des ältesten Bruders Otto unerwartet starb, übernahm Anna Bardroff, ohne zu überlegen, die Aufgabe der Ersatzmutter für die verwaisten vier Kinder. Rainer, den Jüngsten, nahm sie ganz zu sich und zog ihn groß. Die älteren Brüder Oswald und Rudolf versorgte sie in deren Wohnung. Auch für den ältesten Sohn Paul, der bereits geheiratet hatte, blieb sie Ersatzmutter bis zu seinem Tod im Mai dieses Jahres.

„Ich würde wieder alles genauso auf mich zukommen lassen“

Anna Bardroff im Rückblick auf ihr langes Leben

Irgendwann entdeckte sie ihr Hobby und fing mit Leidenschaft an, Teppiche, Kissen und Tischläufer zu knüpfen. Sie häkelte Glitzer-Stolas für ihre Nichten, Topflappen in allen Formen, sogar als Puppenkleidchen getarnt und mit Liebe stickte sie die „Betenden Hände“ von Albrecht Dürer, als Geschenk für besondere Anlässe.

Sie wurde gebraucht in der Familie, war immer heiter, geduldig, bescheiden und zufrieden, gewappnet mit ihrem schlagfertigen Humor. Als Erwachsene revanchierten sich „ihre einst gehüteten Kinder“ und nahmen die Tante Anna überall mit. Ihre Verwandtschaft besteht aus 15 Nichten und Neffen, 35 Großnichten und Großneffen, rund 40 Urgroßnichten und Neffen und sogar zwei Ururgroßnichten.

Bisher lebte Tante Anna alleine in ihrem Häuschen in der Schlossgasse. Es war ihr kleines gehütetes Paradies, wohin sie sich zurückzog, wenn sie mal Kraft schöpfen wollte. Für die Nachbarn war die Tür immer offen und ihr Spruch war: „Wer net komm will, sölls blei läss!“. Ihr Herz schlägt bis heute für Kinder. Besonders die in der Dorfscheuer gegenüber wussten, dass man bei der Anna immer willkommen war. Von ihren Nichten wird sie übrigens „das Schlossfräulein“ genannt und Briefe waren oft nur an „die Tante Anna“ gerichtet und kamen immer an.

Leider stürzte sie im Juli unglücklich, ausgerechnet beim Beginn des Dorffestes, und brach sich die Schulter. Nach Operation, Krankenhaus und Reha lebte sie wieder ein paar Wochen in ihrem Häuschen. Großnichte Annette kümmerte sich fürsorglich. Nach dem Frühstück studiert sie seit Jahrzehnten die Main-Post.

Was würde sie anders machen, wenn sie ihr Leben noch mal leben könnte? Sie antwortet nach kurzem Überlegen: „ Ich würde wieder alles auf mich zukommen lassen, genau so wie ich es immer gemacht habe.“

Ihren 95. Geburtstag wird sie in Simonshof begehen, weil kurzfristig ein Pflegeplatz frei wurde. Tante Annas Meinung dazu: „Do bin ich aufghowe!“

 
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