Was war das denn jetzt gewesen? Eine Stunde lieferte der amerikanische Botschafter Philip Murphy vor Schülern des 11. und 12. Jahrgangs des Rhön-Gymnasiums eine One-Man-Show, dankte artig für ein Gastgeschenk der Schulleiterin Edith Degenhardt und war flux wieder verschwunden, um dem BSH-Werk in Brendlorenzen und Trappstadt einen Besuch abzustatten.
Der Besuch in der Grabfeld-Gemeinde ist auch der eigentliche Grund für die Visite des Diplomaten. Denn vor dem Beginn seiner politischen Karriere war Murphy 23 Jahre Bänker bei Goldman & Sachs, dessen Gründer bekanntlich aus der Grabfeld-Gemeinde stammt. Eingefädelt hatte den Besuch Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär, die schon vor einem Jahr in der Bundeshauptstadt den Repräsentanten der Vereinigten Staaten eingeladen hatte.
Bevor der smarte Amerikaner aber in nostalgischen Erinnerungen schwelgen und den Geburtsort des Firmengründers in Augenschein nehmen konnte, hatte er erst einmal seinen Job zu machen. Den jungen Deutschen etwas über Amerika zu erzählen, sei eine seiner Hauptaufgaben.
In typisch amerikanischer Manier riss der Gast nach einer kurzen Begrüßung durch die Schulleiterin das Wort an sich und übernahm voll und ganz die Initiative. „Ich habe ein bisschen auf Deutsch, das meiste sage ich in Englisch“, entschuldigte er seine Sprachkenntnisse und jagte auch schon in Windeseile durch ein Kurzporträt Amerikas, nachdem er zu seiner Freude vernommen hatte, dass das Rhön-Gymnasium eine Partnerschaft mit einer Schule in Michigan unterhält. Die Förderung solcher Verbindungen und der Austausch von Schülern liege ihm besonders am Herzen.
Zentraler Punkt seiner Kurzbeschreibung war das politische System und insbesondere die Wahlen, die in Amerika völlig anders ablaufen als in Deutschland. Noch viel mehr Bedeutung als in der Bundesrepublik sei neben den unglaublich hohen finanziellen Ausgaben für den Wahlkampf die persönliche Ausstrahlung der Kandidaten. Die beiden Kandidaten hätten einen völlig unterschiedlichen Hintergrund und fänden jeweils in den Kreisen, aus denen sie stammen auch die größte Unterstützung. „Während Obama aus der Mittelschicht kommt und entsprechend dort auch die meisten Anhänger findet, ist Romney Repräsentant der amerikanischen Elite.“
Faktoren, die in Deutschland kaum Einfluss auf die Wahl haben, seien in Amerika von immenser Bedeutung: der demographische Hintergrund der Wähler müsse berücksichtigt werden; das unterschiedliche Wahlverhalten von Männern und Frauen; patriotische Bekundungen seien unverzichtbar.
Philip Lahm begegnet
Knapp eine Dreiviertelstunde beschrieb der bekennende Obama-Anhänger amerikanische Verhältnisse, ehe er auf ein Thema zu sprechen kam, das ihn ebenfalls stark bewege: Fußball und natürlich das verkorkste Länderspiel. Er habe zufällig Philip Lahm am Flughafen gesehen, „der hat ausgesehen, als ob jemand seinen Hund erschossen hätte“.
Immerhin konnten noch vier Schüler Fragen stellen, die sich unter anderem um die Wahlen und das Mohamed-Video drehten. Doch schon blickte der Gast auf die Uhr und blies zum Aufbruch. Etwas verdutzt schauten Landrat Thomas Habermann, die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär und der amerikanische Generalkonsul William Moeller, der gerade erst seinen Posten in München angetreten hat, da sie nicht einmal zu Worte gekommen waren.
Doch ehe sich jemand besinnen konnte, hatte Murphy sein Sakko übergezogen und war schon zur Tür hinaus.