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Meiningen
Staatstheater Meiningen: Wo der amerikanische Traum stirbt
Zwischen Langeweile, Lust und Depression: Daisys Leben im Goldenen Käfig. Partydauergast Jordan Baker nimmt's gelassen (Mia Antonia Dressler und Noemi Clerc).
Foto: Christina Iberl | Zwischen Langeweile, Lust und Depression: Daisys Leben im Goldenen Käfig. Partydauergast Jordan Baker nimmt's gelassen (Mia Antonia Dressler und Noemi Clerc).
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 25.11.2024 02:32 Uhr

Es ist ein enorm schwieriges Unterfangen, einen Roman, der zu den großen literarischen Zeugnissen einer Epoche gehört, so in ein anderes Medium zu übertragen, dass der Betrachter genauso gefangen wird wie von der Lektüre.

Neuester Versuch in den Kammerspielen des Meininger Staatstheaters: Rebekka Kricheldorfs Bühnenadaption von F. Scott Fitzgeralds Roman "Der große Gatsby" in Regie von Dominique Schnizer.

Die erste Frage, die sich einem durch Lektüre vorbelasteten Besucher stellt: "Warum setzt man eine von Zeitgeistströmungen der 1920er-Jahre durchflutete Handlung nicht ins technisch aufgerüstete Große Haus? Mit einem Hauch von Milieu, in dem der amerikanische Traum der 1920er Jahre lebt und stirbt?"

Aber selbst dann wäre man sich nicht sicher, ob das gutginge. Wie soll das erst in den Kammerspielen gelingen? Der Regisseur, die Bühnen- und Kostümbildnerin Christin Treunert und der Sounddesigner Augustin Zimmer setzen offensichtlich auf die Einbildungskraft des Publikums.

Psychologisches Kammerspiel mit verlorenen Gestalten

Schon wähnt man sich in einem riesigen Ballsaal, mit Konzertflügel, mit Kristalllüster, Lichteffekten, Stimmengewirr aus dem Off und musikalischen Untermalungen, die man nicht unbedingt mit der verruchten, lärmenden, verjazzten Atmosphäre der Roaring Twenties, der Wilden Zwanziger, in Verbindung bringt. Bühnenhohe, mit Rost und Alterspatina belegte Flügelwände grenzen den Raum ab.

In den Nischen blüht das wilde Partyleben: (von links) Noemi Clerc, Jan Wenglarz, Mia Antonia Dressler, Ulrike Knobloch, Florian Graf und Matthis Heinrich.
Foto: Christina Iberl | In den Nischen blüht das wilde Partyleben: (von links) Noemi Clerc, Jan Wenglarz, Mia Antonia Dressler, Ulrike Knobloch, Florian Graf und Matthis Heinrich.

Was im Saal geschieht, könnte man als "Der große Gatsby, verkleinert" bezeichnen – ein psychologisches Kammerspiel mit verlorenen Gestalten: Der mysteriöse Multimillionär Jay Gatsby, ähnlich wie Orson Welles' "Citizen Kane" aufgestiegen aus ärmlichen Verhältnissen. Seinen Reichtum verdankt er vor allem dem Alkoholschmuggel und seine Einsamkeit kaschiert er als Gastgeber ausschweifender Partys.

Auf der anderen Seite der Bucht leben der rücksichtslose Millionär Tom Buchanan und seine gelangweilte, depressive Frau Daisy. Auf halbem Weg in die Glamourwelt Manhattans, im Waste Land, hausen der Tankwart Wilson und seine Frau, Buchanans heimliche Gespielin.

Eine wilde Party jagt die andere. In den Palästen wird ständig gefeiert und Nick (Jan Wenglarz) versucht sich anzupassen.
Foto: Christina Iberl | Eine wilde Party jagt die andere. In den Palästen wird ständig gefeiert und Nick (Jan Wenglarz) versucht sich anzupassen.

Schließlich Nick Carraway, der Erzähler, ein bescheidener junger Mann, den es – wie die anderen auch – aus dem Mittleren Westen hierher verschlagen hat. Er wird im Lauf der Handlung wider Willen zum Vermittler zwischen Gatsby und seiner Jugendliebe Daisy, Nicks Cousine.

Der Glaube an die Rückkehr der großen Liebe ist ein Luftschloss.

Doch das, was sich Gatsby wie ein aller Vernunft beraubter Romantiker an Rückkehr der großen Liebe erträumt, ist ein Luftschloss. Weder er noch Daisy sind fähig, etwas wiederzubeleben, was nur in den Köpfen von Teenagern existierte.

Keine zweite Chance für die große Liebe: Daisy und Gatsby im Rausch des Augenblicks (Mia Antonia Dressler und Leonard Pfeiffer).
Foto: Christina Iberl | Keine zweite Chance für die große Liebe: Daisy und Gatsby im Rausch des Augenblicks (Mia Antonia Dressler und Leonard Pfeiffer).

Der Regisseur konzentriert sich in dieser Atmosphäre aus Verlorenheit, Gefühlskälte, Begierde und Langeweile auf die Verfassung der Hauptpersonen und lässt das Äußere als Sammlung von Revueeinlagen einspielen. Das führt zu spannungsreichen Auftritten der Protagonisten. Mia Antonia Dressler mimt Daisys Gemütschwankungen als spiegelten sich in ihnen die Launen Marilyn Monroes. Matthis Heinrich verkörpert als Tom glaubwürdig dessen mühsam beherrschte Wut.

Leonard Pfeiffer betont Gatsbys Fassade der Unnahbarkeit, hinter der sich eine bodenlose kindliche Hilflosigkeit verbirgt.

Einsame Seele hinter einer Fassade der Unnahbarkeit: der mysteriöse Jay Gatsby (Leonard Pfeiffer).
Foto: Christina Iberl | Einsame Seele hinter einer Fassade der Unnahbarkeit: der mysteriöse Jay Gatsby (Leonard Pfeiffer).

Ulrike Knobloch und Florian Graf spielen mit proletarischem Habitus das Tankwartsehepaar, an dem der amerikanische Traum vorbeigezogen ist und Noemi Clerc gibt als Golf-Ass Jordan Baker eine unterkühlte Lebedame, die sich souverän durchs Milieu bewegt. Jan Wenglarz ist als Erzähler Nick die einzige Person, an deren Seite man am Ende fluchtartig die dekadente Gesellschaft verlassen wollte.

Doch die gelungene Zeichnung der Charaktere formen das Bühnengeschehen in den Köpfen der Betrachter leider nicht zu dem großen Ganzen, das man sich durch die Lektüre des Romans Seite für Seite erschließen muss.

Die nächsten Vorstellungen sind am 23. November, 11., 21. und 28. Dezember. Karten gibt es über Tel.: (03693) 451222 und im Internet unter www.staatstheater-meiningen.de

 
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