Junge Menschen können sich kaum vorstellen, dass einst ein 3,20 Meter hoher Metallgitterzaun, der Schießbefehl und Minenfelder für vierzig Jahre Deutsche von Deutschen trennten.
Grund genug für das Rhön-Gymnasium Bad Neustadt Augenzeugen vor Ort zu befragen, den Grenzzaun zu sehen und zu erfahren, wie diese Trennung ausgesehen hat. Für das Rhön-Gymnasium spielt Zeitgeschichte eine große Rolle und so wurde auch in diesem Jahr wieder ein Themen-Wandertag an die einstige DDR-Grenze durchgeführt.
Gut 80 Schüler waren am Dienstag nach Bad Königshofen gekommen, um mehr darüber zu erfahren, wie es war, als Deutschland geteilt war. Anschaulich konnte das Kreiskulturreferent Hanns Friedrich vor Ort am noch vorhandenen Grenzzaun zwischen der thüringischen Gemeinde Schlechtsart und dem fränkischen Trappstadt vorstellen. 1396 Kilometer lang war die einstige Grenze – von Hof bis zur Ostsee. Auch Rhön-Grabfeld war betroffen und damit von der „östlichen Welt abgeschnitten“, so der Kreiskulturreferent. Diesmal hatte er den Grenzwanderweg zwischen Trappstadt und Schlechtsart gewählt, um anhand der vorhandenen Relikte deutlich zu machen, wie unmenschlich die Teilung war.
Die Schüler der Jahrgangsstufe 10 begaben sich so auf eine spannende Reise in die jüngere Vergangenheit.
Mit von der Partie ihre Lehrkräfte Studiendirektor Hartmut Brunner, Arno Weidinger, Hermann Zimmermann und Silvia Joachim. Jeweils am Ende der Jahrgangsstufe 10 begeben sich die Schüler auf eine sechstägigen Studienfahrt nach Berlin, berichtete Hartmut Brunner gegenüber unserer Zeitung. Dabei stehen die Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR im Mittelpunkt. Beide deutsche Diktaturen im 20. Jahrhundert werden beleuchtet im Bewusstsein der Verantwortung für künftige Generationen und für den Erhalt der Freiheit. Deshalb steht noch eine Fahrt nach Berlin an. Im Vorfeld wurden die Grenzwanderung und eine Führung im Museum für Grenzgänger Bad Königshofen durchgeführt.
Die Berliner Mauer ist den Gymnasiasten ein Begriff, nicht jedem jedoch der unüberwindbare Metallgitterzaun. Kein Wunder, dass Kreiskulturreferent Friedrich hin und wieder in fragende Gesichter blickte. Verständlich, denn die Jungen und Mädchen, heute 15 bis 16 Jahre alt, kennen nur das vereinigte Deutschland und damit die Freiheit, dorthin zu gehen, wo man hin möchte.
Passierscheine und Kontrollen
„Passierscheine oder Grenzkontrollen, wie es sie 40 Jahre zwischen Ost- und Westdeutschland gab, sind ihnen unbekannt“, so Hartmut Brunner. Er hatte den Ausflug an die einstige deutsch-deutsche Grenze im Grabfeld initiiert. Für ihn ist ein weiterer bedeutender Erinnerungsort Point Alpha an der hessisch-thüringischen Grenze, den viele Schüler des Rhön-Gymnasiums kennen, so der Lehrer. Doch zurück zum „Grenzwandertag“. Da erfuhren die Schüler, dass Unterfranken eine gemeinsame Grenze zur DDR hatte und zwar in den Bereichen Rhön, Grabfeld und Haßberge. Dabei wurden bei der Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg oft familiäre Kontakte regelrecht zerschnitten, ganze Dörfer, die einst an der Grenze siedelten, dem Erdboden gleichgemacht, oder schlicht eingezäunt.
Hanns Friedrich erzählte von Leitenhausen oder Billmuthhausen, Ortschaften, die eingeebnet wurden. Er zeigte Fotodokumente, zum Beispiel von Billmuthhausen, das 1340 gegründet und 1978 zerstört wurde. Von Minentoten berichtete er und davon, was die Menschen in Ostdeutschland alles auf sich nahmen, um in den Westen zu gelangen.
Kräftig durchschnaufen hieß es an der Steigung zum Spanshügel bei Trappstadt, dort wo einst viele Minen gelegt wurden. Auf dem einstigen Kolonnenweg ging es zu den rund 300 Metern Original-Grenzzaun, der, aus welchen Gründen auch immer, stehen blieb. Friedrich hatte erfahren, dass die Soldaten der Kompanie aus Gompertshausen und aus Schlechtsart den Abbau bewerkstelligten. „Sie hatten entsprechende Vorgaben, woran sie sich gehalten haben, und so blieb der Original-DDR-Zaun stehen.“ Heute ist das etwas Besonderes, denn hier kann man den Kolonnenweg sehen, aber auch Relikte des Kfz-Sperrgrabens und den Metallgitterzaun. Von Kfz-Sperrgraben, Y-Absperrungen, Signal- und Stolperdrähten sowie dem Sicherungsstreifen erfuhren die Schüler. Dann konnten sie bei Gompertshausen einen sogenannten „Führungsbunker“ sehen, einen Wachturm, mit Schlaf- und Aufenthaltsmöglichkeiten unter der Erde. Dass auf dem Dach des Turmes ein großer Scheinwerfer war und ein Maschinengewehr, um Menschen an der Flucht in den Westen zu hindern, beeindruckte die Jugendlichen. Manche konnten das gar nicht so recht glauben.
Immer noch wie ein Wunder
Geschichte und Geschichtchen, die sich an der einstigen DDR-Grenze zugetragen haben, erfuhren die Schüler des Rhöngymnasiums bei der Grenzwanderung. Eindrucksvoll war für sie auch der Besuch im Museum für Grenzgänger, wo ein Modell der letzten perfektionierten Grenzanlagen ebenso zu sehen ist, wie das einer Selbstschussanlage. Hier erfuhren die Jugendlichen, dass die Menschen in Ost und West an ihrer Kultur, ihrem Brauchtum und ihrem Dialekt festhielten. An die Wiedervereinigung habe im Grenzland niemand geglaubt, sagte der Kreiskulturreferent. „Ein Wunder“ nannte es der Kreiskulturreferent, dass diese Wiedervereinigung 1989 friedlich über die Bühne ging. Es hätte auch ganz, ganz anders ausgehen können, wenn man weiß, wie die Demonstration in Leipzig durch Militär abgesichert war.