
Wenn man ehrlich ist, dann ist das Rhönrad ein wenig auch eine Pfälzer Erfindung. Ein wenig. Denn als der gebürtige Pfälzer Otto Feick noch ein Kind war, ließ er in der großväterlichen Schmiede zwei Fassreifen mit Querstreben verbinden, um damit die Abhänge hinunterrollen zu können. In seiner Wahlheimat Schönau (Lkr. Rhön-Grabfeld) verfeinerte er später seine damalige Idee. Vor 90 Jahren hat Feick mit der Patentierung des Rhönrads dann Sportgeschichte geschrieben – an diesem Samstag kehren die Deutschen Rhönrad-Meisterschaften als Ehrbezeugung an ihren Ursprung in die Rhön zurück.
Sensation in New York
Um die Anerkennung seines Sportgerätes allerdings musste Feick kämpfen. So begann er mit Janz, seinem Sohn Fritz und einer kleinen Gruppe aus Schönau und Bad Neustadt mit Vorführungen und Vorstellungen im süddeutschen Raum. Bald entwickelte sich Würzburg zur ersten Hochburg des Rhönradsports. Ein Teil der von Feick mit seiner Gruppe ausgearbeiteten Übungen gehört heute noch in überarbeiteter Form zum allgemeinen Wettkampfprogramm des Rhönradturnens.

Die Tourneen weiteten sich aus, 1927 wurde das Turnrad in London, ein Jahr später in Paris vorgestellt. Wieder ein Jahr später zog es Feick über den Atlantik nach Amerika, wo das „German Wheel“ in New York geradezu als Sensation gefeiert wurde. In vielen großen Städten, vor allem in Berlin, gehörte das Rhönrad in den 1930er Jahren zum Übungsstandard. Der erste große internationale Wettkampf wurde 1930 in Bad Kissingen ausgetragen.
Schon Mitte der 1930er Jahre konnte die Werkstatt in Schönau die Auftragsflut nicht mehr bewältigen. Deswegen wurde die Herstellung der Räder einer Firma in Hagen in Westfalen übertragen, die bis zum Zweiten Weltkrieg nahezu 20 000 Rhönräder zum Durchschnittspreis von 100 Reichsmark herstellte. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs kam der Turnbetrieb aber völlig zum Erliegen. Feicks Sohn Fritz war nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, ein herber Verlust für den Vater – und für das Rhönradturnen.
Doch mit der Erneuerung des Vereinswesens in Deutschland wurde auch das Rhönrad wiederentdeckt. In Feicks Heimatgemeinde Schönau formierte sich eine Rhönradriege beim neu gegründeten Sportverein DJK, aber auch in den unterfränkischen Hochburgen wie Würzburg, Rimpar und Aschaffenburg. Und auch in Berlin und dem Rheinland wurden wieder Wettkämpfe ausgetragen. Vom Berliner Turnerbund und dem Bayerischen Turnverband wurde das Rhönradturnen als gleichwertiger Turnzweig offiziell aufgenommen. Auch in der damaligen DDR wurden erhebliche Mittel für den Rhönradsport aufgewendet, um den „Klassenfeind“ im Westen sportlich zu deklassieren.
Keine Nachwuchssorgen
Die Werkstatt von Otto Feick erlebte nach dem Krieg nicht mehr die erhoffte Blüte und wurde Anfang der 1950er Jahre aufgegeben. Feick selbst erlebte den Aufschwung des Rhönradturnens, die vollständige Anerkennung und Aufnahme als Turndisziplin beim Deutschen Turnerbund im Jahre 1959 nur noch am Rande mit. Er starb am 17. Oktober 1959 in Schönau.
Die Gemeinde hat Feick im Jahr 2000 zum 75. Jubiläum des Rhönrads mit einem Denkmal unterhalb der Kirche gewürdigt. Heute ist das Rhönrad international anerkannt. Es werden Wettkämpfe von Sportlern in mehr als 60 Nationen auf allen Kontinenten ausgetragen.
Nur ganz nebenbei und kaum wahrgenommen: Im Geburtsort des Rhönrades, in Schönau, gehörte in all den 90 Jahren das Rhönrad-Turnen zum sportlichen Angebot. Seit nunmehr 65 Jahren ist eine sehr erfolgreiche Rhönrad-Abteilung bei der DJK Schönau zum Aushängeschild des Vereins und damit des ganzen Dorfes geworden. In den Siebzigern gehörte die Abteilung gar zur Elite des Rhönradsports. Anfang der 1990er Jahre umfasste die Rhönradabteilung mehr als 50 Kinder und Jugendliche.

Anita Wagner hat 1994 die Abteilung übernommen und führt sie bis heute. Das Rhönradturnen liegt ihr im Blut. „Das Faszinierende am Rhönrad ist, dass das Turngerät selbst in Bewegung ist.“ Mit sechs Jahren hat sie ihre ersten Umdrehungen im Rhönrad gemacht, seit 42 Jahren ist sie dem Sportgerät mit Schönauer Wurzeln eng verbunden. „Das ist jetzt die dritte Deutsche Meisterschaft, die ich organisiere, und die Arbeit wird immer komplexer“, so Wagner. „Natürlich ist es eine große Ehre, wenn die Rhön zum Rhönrad-Jubiläum wieder Ausrichtungsort einer großen Meisterschaft ist“, so Wagner. Außer in Schönau selbst gibt es noch in Nordheim und Bischofsheim Rhönradgruppen im Landkreis. Nachwuchssorgen habe man also nicht in der Rhön.
Zu olympischen Ehren zwar ist das Rhönrad auch nach 90 Jahren nicht gekommen. Dafür haben es aber Artisten für ihre halsbrecherischen Vorführungen in Varietés und für den Zirkus entdeckt. Bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 konnte Otto Feick mit etwa 120 Rhönradturnern auf einer Schauvorführung für Aufsehen sorgen.
Deutsche Meisterschaften im Rhönradturnen
Die Wertungen werden bei den Deutschen Meisterschaften nach der Bundesklasse L 10 vorgenommen. Bei allen Übungsfolgen ist eine maximale Punkteanzahl vorgeschrieben. Für Ausführungsfehler oder fehlende Elemente werden Abzüge vorgenommnen, für Interpretation, Kreativität und Variabilität gibt es Zusatzpunkte. An den deutschen Meisterschaften am 17. Oktober nehmen die jeweils besten 24 Rhönradturner entsprechend ihrer Platzierungen bei den Süd- und Norddeutschen Meisterschaften teil. Sie ermitteln zwischen 11 und 16.30 Uhr zunächst die Meister im Mehrkampf. Jeder Turner stellte sich in allen drei Disziplinen dem Wettkampf.
Bei den Süddeutschen Meisterschaften hat sich hierzu auch die Schönauerin Tanja Rehm qualifiziert. Mit Sabrina Streck nimmt zudem eine weitere Turnerin der DJK Schönau teil, nachdem dem ausrichtenden Verein ein Wettkampfplatz zugestanden wird. Aus Unterfranken sind auch Niklas Reuther, Julia Senn und Nastassja Schmitt (alle ASV Rimpar) sowie Dominique Walz (TG Würzburg 1848) mit dabei.