zurück
MELLRICHSTADT
Schaurig-schön: Mitternachtsspitzen im Schlosskeller
Gefälliger Schlusspunkt der Erlebnisnacht: Gruselige und grotesk-humorvolle Erzählungen hatten Peggy Geßner und David Henkes für die „Mitternachtsspitzen“ im VG-Schlosskeller ausgesucht.
Foto: Fred Rautenberg | Gefälliger Schlusspunkt der Erlebnisnacht: Gruselige und grotesk-humorvolle Erzählungen hatten Peggy Geßner und David Henkes für die „Mitternachtsspitzen“ im VG-Schlosskeller ausgesucht.
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 30.10.2015 03:46 Uhr

Die Mellrichstädter Erlebnisnacht hat in den zwölf Jahren ihres Bestehens bereits eine Reihe von Traditionen ausgeprägt. Eine davon sind die „Mitternachtsspitzen“, die in der Stunde vor Mitternacht mit Erzählungen der besonderen Art noch einmal einen prickelnden Akzent setzen.

Kurz vor 23 Uhr hatte sich eine ansehnliche Gruppe von Freunden spannender Geschichten im VG-Keller getroffen, wo Wolfgang Pfeiffer vom Aktiven Mellrichstadt die beiden Vorleser vorstellte: Peggy Geßner und David Henkes, beide Mitglieder der Theatertruppe „METTheater“, also prädestiniert für professionelles Vorlesen. Die beiden wurden den Erwartungen auch voll gerecht.

An Deutschlands böseste Epoche erinnerte die erste Geschichte mit dem Titel „Sex und schlechte Gedichte“ des Autors Santanya. Ein Überlebender des Holocaust übt Rache an den Nazi-Verbrechern, indem er deren Geist in Gegenstände verbannt und so zum ewigen Leben verdammt. In einem Fall ist es ein Füller, den Hitler einem seiner Getreuen, Steffen König, geschenkt hat. Dieser hatte besonders durch seine Hasstiraden auf Juden und Homosexuelle von sich reden gemacht. Der Jude schenkt diesen Füllfederhalter einem jungen Homosexuellen, der von dem Geheimnis des Schreibgeräts nichts weiß.

Er schreibt mit dem Füller und geht dabei seinen erotischen Fantasien nach, die der eingeschlossene Geist als permanente Vergewaltigung und Folter empfindet.

Nach David Henkes trug Peggy Geßner Roald Dahls Erzählung „Der Weg zum Himmel“ vor. Damit ist der Himmel gemeint, den die ältliche Mrs. Foster erreicht, als sie endlich ihren Mann los ist. Der ging ihr Zeit seines Lebens auf die Nerven, weil er keinerlei Verständnis hatte für Frau Fosters „geradezu pathologische Angst“, einen Termin zu versäumen. Er reizte sie sogar, indem er bei der Abreise nach Paris absichtlich trödelte. Frau Foster fährt schließlich ohne ihn ab, kommt sechs Wochen später nach Hause. Dort entdeckt sie, dass ihr Mann im defekten Aufzug des Hauses steckengeblieben ist.

„Auf der Landstraße“ ist eine Geschichte, die eine gespenstische Wendung nimmt. Denn in dieser von Henkes vorgetragenen Erzählung von Richard Middleton begegnet ein Landstreicher auf einer verschneiten Landstraße einem anderen Landstreicher, einem schmächtigen jungen Burschen, der offensichtlich krank ist. Der Ältere sorgt dafür, dass er in ein Krankenhaus gebracht wird.

Am nächsten Morgen aber trifft er wieder auf den Jungen. Der klärt ihn auf: „Heute Morgen bin ich gestorben. Aber von diesem Leben kommen wir nicht los.“ Die Zuhörer brauchten einen Moment, bis sie begriffen: Dieser junge Landstreicher ist ein Wiedergänger, ein Untoter.

Gespenstisch, aber humorvoll ging es in der Erzählung vom „Koboldgeist“ zu. Da schafft es ein in die Jahre gekommener Playboy, mithilfe von Magie einen Kobold herbeizurufen. Der ist bereit, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Das Geisterwesen verschafft ihm eine Badehose aus unzerstörbarem Stoff, die ihm, als er sie anlegt, das Gefühl strotzender Männlichkeit vermittelt. Doch als er seine wiedergewonnene Potenz an einem jungen Mädchen ausprobieren will und zu dem Zweck seine Badehose ausziehen muss, stellt sich leider wieder der ursprüngliche Zustand ein.

Peggy Geßner steuerte am Ende noch eine kuriose Erzählung bei: „Stich für Stich“ von Ingrid Noll. Sie erzählt von einer Frau, die eine krankhafte Neigung zum Sticken entwickelt hat. Und noch mehr ist krankhaft: Wie erst nach einem flotten Damenbesuch herauskommt, ist die Stickerin gar keine Frau, sondern ein Herr Meier.

Mit dieser vergnüglichen Zugabe klangen die „Mitternachtsspitzen“ aus.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Mellrichstadt
Fred Rautenberg
Erzählungen
Ingrid Noll
METTheater
Traditionen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top