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Sandberg
Sandberg: Kittel und Masken statt Janker und Hirschhorn
Loden-Waren sind das Geschäft der Sandberger Kleiderfabrik. Corona hat es auf Null geschrumpft. Die Rhöner sind findig. Aber das Oktoberfest haben sie abgeschrieben.
In aller Munde und vielleicht bald vor aller Munde: Mundschutzmasken sind derzeit das große Thema: Die Sandberg Bekleidungs GmbH mit Chef Arndt Tennie hat die Produktion in Sandberg derzeit komplett von Trachtenmode auf Mundschutz und Schutzkittel umgestellt, um Kurzarbeit zu verhindern.
Foto: Gerhard Fischer | In aller Munde und vielleicht bald vor aller Munde: Mundschutzmasken sind derzeit das große Thema: Die Sandberg Bekleidungs GmbH mit Chef Arndt Tennie hat die Produktion in Sandberg derzeit komplett von Trachtenmode ...
Gerhard Fischer
 |  aktualisiert: 20.04.2020 02:10 Uhr

Feinster Loden, fesche Janker mir Hirschhornknöpfen, Westen und anderer Trachten-Chic: Auf den großen Kleiderstangen der Sandberger Bekleidungs GmbH reihen sich die feinen Stoffe, mit denen oberbayerische Hoteliers gerne ihre Gäste begrüßen oder qualitätsbewusste Oktoberfestbesucher ein Statement gegen die Discounter-Billigware setzen. Alleine, die guten Teile bleiben derzeit an den Kleiderstangen hängen wie Blei.  

Seit 1995 Trachten-Produktion

Die Coronakrise hat auch den kleinen Trachten-Hersteller am Ortsrand von Sandberg mit seinen 13 Mitarbeitern getroffen. "Es gab einen Vorlauf von zwei Tagen, dann stand die Produktion bei Null", erinnert sich Geschäftsführer Arndt Tennie. "Wir sind ein kleiner Betrieb, der seine Höhen und Tiefen erlebt hat, nie etwas Dramatisches. Aber das hier war ein Schlag", sagt Tennie, der zusammen mit Siegfried Kirchner 1995 die Sandberger Bekleidungs-GmbH gegründet hat und bis heute führt.

Einzelhändler haben Bestellungen storniert

Die Sandberger haben sich auf die Produktion von Loden-Bekleidung spezialisiert. Mit Trachten-Jankern- und Westen wird vor allem der Einzelfachhandel in Süddeutschland, Österreich und Teilen der Schweiz beliefert. Der Trachten-Ausstatter Loden Frey in München zum Beispiel ist ein wichtiger Kunde. Doch der hat seit Wochen ebenso geschlossen wie all die anderen Trachten-Einzelhändler, die seit vielen Jahren den Kundenkreis der Rhöner Schneider bilden. "Die Aufträge wurden mehr und mehr storniert, dann lag das Ostergeschäft völlig brach", sagt Arndt Tennie, der das Bekleidungsfertigungs-Geschäft von der Pike auf gelernt hat. Immerhin würde jetzt die Touristensaison starten und das eine oder andere Trachtenteil wird gerne als Mitbringsel aus Bayern mit nach Hause genommen.

Kein feiner Zwirn für Trachtenfreunde, aber tausendfach Mundschutz und Schutzkittel sollen die Jobs bei der Sandberg Bekleidungs GmbH in der Corona-Krise sichern.
Foto: Gerhard Fischer | Kein feiner Zwirn für Trachtenfreunde, aber tausendfach Mundschutz und Schutzkittel sollen die Jobs bei der Sandberg Bekleidungs GmbH in der Corona-Krise sichern.

"Für uns stellte sich die Frage: Sollen wir Kurzarbeit anmelden? Oder finden wir einen anderen Weg?", so Arndt Tennie. Der Unternehmer fand einen anderen Weg. Seit wenigen Tagen läuft die Produktion ganz im Zeichen der Coronakrise. "Wir haben ein Landratsamt nach dem anderen angerufen und Mundschutz und Schutzkittel angeboten", sagt Tennie. Der erste Kunde ist seit letzter Woche das Landratsamt in Würzburg. "Am vergangenen Mittwoch kamen die Stoffbahnen, die haben wir am Donnerstag zugeschnitten. Am Freitag werden wir die erste Lieferung nach Würzburg fahren. Da werde ich persönlich dabei sein", sagt Tennie mit einem optimistischen Lächeln im Gesicht.

Wiederverwertbare Produkte

Mundschutz und Schutzkittel sind als wiederverwendbare Kochwäsche angelegt. Für die Kittel zum Beispiel gibt es Schnittmuster, die die entsprechenden Normen berücksichtigen. "Die Kittel produzieren wir in einer Einheitsgröße", so der Firmenchef. Tausende von Mundschutz-Masken können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sandberg in einer Woche herstellen. Der Maschinenpark ermöglicht das Zuschneiden von vielen Stofflagen gleichzeitig. "Wofür eine Einzelperson vielleicht eine Woche braucht, das können wir in ein paar Minuten erledigen", spricht Tennie die Kapazitäten seines Hauses an im Gegensatz zum ehrenamtlichen Einsatz von Privatpersonen.

"Es geht uns nicht um Gewinnsteigerung. Wir bieten den Mundschutz zum Selbstkostenpreis an. Es soll nur keiner in Kurzarbeit gehen", ergänzt der Unternehmer, der sich nach dem ersten Auftrag weitere Folge-Ordern erhofft. Die Landkreise agieren mit unterschiedlichen Konzepten und setzen teilweise auch auf ehrenamtliche Produktion.

Zweifel an einem Umsatzbringer Oktoberfest 2020

Arndt Tennie hat mit seinem einstigen Mitgesellschafter und heutigen Modellmacher Siegfried Kirchner viele Hochs und Tiefs der Branche erlebt. Wann die Corona-Krise als überwunden gelten kann, weiß er nicht. "Wir haben sehr kleine Kunden, die sehr um das Überleben kämpfen. Ich persönlich denke, dass sich die Situation erst zum Spätsommer für uns bessert", denkt der Branchenkenner. Ein ganz wichtiger Saisonabschnitt sei auch das Oktoberfest, für das sich auch viele Trachtenfans eindecken. "Ich persönlich glaube nicht, dass das heuer stattfindet", meint Tennie. Auch die Fachleute der Leopoldina raten von solchen risikoreichen Großereignissen wohl für Monate ab.

Es sieht danach aus, dass in Sandberg bis auf weiteres Mundschutzmasken und Schutzkittel durch die Führungen der Nähmaschinen rattern.  Wenn es wieder festlicher Lodenstoff sein wird, dann hat die ganze Welt einen Grund zu feiern.

 
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