Für den „Salzburg-Klassiker 2019“ am Samstag hatte sich der scheidende Künstlerische Leiter Ernst Oestreicher mit dem „Bolero“ von Maurice Ravel und den „Carmina Burana“ von Carl Orff zwei Stücke gewünscht, die schon beim allerersten „Salzburg-Klassiker“ im Jahre 2007 auf dem Programm standen. Ein Kreis sollte sich da schließen, mit zwei der meistgespielten und populärsten Werke der „E-Musik“ des 20. Jahrhunderts. Eine sichere Bank, sollte man meinen. Doch es ist nicht ohne Risiko, Stücke auf die Bühne zu bringen, von denen das Publikum schon eine ziemlich genaue Klangvorstellung hat, mit der man zwangsläufig konkurrieren muss. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Wagnis ist geglückt.
Die rund 850 Zuschauer hatten zunächst die Gelegenheit, durch die ansonsten für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Gärten der Salzburg über Bad Neustadt zu lustwandeln und sich von kleinen Ensembles der Berufsfachschule für Musik aus Bad Königshofen musikalisch auf den Abend einstimmen zu lassen - eine charmante Idee der Veranstalter, dem Verein „Kultur … FÜR … humanitäre Hilfe“, der Stadt Bad Neustadt und dem Landkreis Rhön-Grabfeld. Ein buntes Völkchen hatte sich da eingefunden: Junge Leute in Jeans und Turnschuhen standen ebenso an den routiniert vom SV Herschfeld betriebenen Catering-Zelten an wie gesetzte Kulturfreundinnen und -freunde in Abendrobe und schwarzem Anzug.
Schwungvoller Beginn
Pünktlich um 20.30 Uhr wurden die Anwesenden vom Moderatorenteam Sophia Mohr und Stefan Kritzer auf der großen Bühne begrüßt, wo anschließend die Junge Philharmonie Rhön-Grabfeld unter der Leitung des mit viel Applaus empfangenen Dirigenten Ernst Oestreicher dermaßen schwungvoll und unbekümmert loslegte, dass es einem förmlich den Atem verschlug. Die Ouvertüre „Slava!“ von Leonard Bernstein bot den Nachwuchsmusikern reichlich Gelegenheit, ihr beeindruckendes Potential zu zeigen: rhythmisch energisch und dennoch auf den Punkt, humorvoll beim ständigen Wechsel von filigran gespielten gedämpften Blechbläserpassagen im Wechsel mit kraftvollen Orchester-Einwürfen, humorvoll beim Einsatz ungewöhnlicher perkussiver Effekte - ein rasanter Auftakt für den Konzertabend, der in dem melancholisch angehauchten und von lateinamerikanischen Rhythmen durchzogenen „Danzon Nr. 2“ von Arturo Marquez eine Fortsetzung fand, die eine ganz andere Seite des unter der Trägerschaft des Landkreises stehenden Orchesters offenbarte: Getragene Holzbläserpartien (besonders gefühlvoll in den Oboen) mündeten in rhythmisch knifflige Übergänge, variierende Tempi verlangten ebenso hohe Konzentration wie häufige Rhythmuswechsel, lateinamerikanische Leichtigkeit traf immer wieder auf hochdramatische Passagen. Insgesamt eine beeindruckende Vorstellung des jungen Ensembles, das das Kunststück zustande brachte, dass man trotz aller Komplexität immer das Gefühl hatte, hier wird tanzbare Musik gespielt.
Erster musikalischer Höhepunkt
Nun hob sich der Vorhang für den ersten musikalischen Höhepunkt des Abends: Das Publikum fieberte dem „Bolero“ von Maurice Ravel entgegen und wurde nicht enttäuscht. Die ganz leisen solistischen Passagen zu Beginn des Stückes schienen noch von einer gewissen Nervosität geprägt zu sein. Doch wie sich das Orchester im Verlauf der höchst repetitiven Kompositionen immer mehr steigerte und zusammenfand, war wirklich umwerfend. Angeführt von einem extrem präzise und hochkonzentrierten Nico Fehler an der Kleinen Trommel, der den markanten Rhythmus wie ein Uhrwerk durch alle Lautstärken hindurchpeitschte, entwickelten die Amateurmusiker einen musikalischen Sog, dem sich das Publikum nur schwer entziehen konnte. Mit begeistertem und lang anhaltendem Applaus ging es in die Pause.
Gäbe es ein Gerät, mit dem man die Summe an Gänsehaut in einer Menschenmenge messen könnte, es hätte während der ersten Takte der nun erklingenden „Carmina Burana“ von Carl Orff wie wild ausgeschlagen. Die insgesamt 230 Mitwirkenden bauten in kürzester Zeit Spannung auf und entwickelten eine Dynamik, die die archaische Gewalt der weltberühmten Sammlung mittelhochdeutscher und mittellateinischer Lied- und Dramentexte glänzend zur Entfaltung brachte. Während die enthusiastischen Sänger ein Gefühl von mittelalterlicher Erhabenheit weckten, lief das Orchester zu Hochform auf. Oestreicher stürzte sich mit Wonne auf ebendiese unbändig pulsierende Kraft des Werkes und holte alles aus seiner Truppe heraus. Das Wechselspiel aus teils lyrischen Chorpassagen und energischen Orchestereinwürfen gelang perfekt und riss das Publikum von Beginn an mit.
Verdienter Applaus
Die Solisten fühlten sich auf diesem Klangteppich sichtlich wohl und beeindruckten allesamt. Der an diesem Abend vielbeschäftigte Bariton Christian Huber sang entspannt und voll, melancholisch in den lyrischen Passagen, intonatorisch sicher auch in den hohen Lagen. Die Sopranistin Radka Loudová-Remmler setzte glockenklare Akzente und der gesanglich extrem virtuose Countertenor Willem Aless stellte in seiner Paraderolle als „gebratener“ Schwan sein komödiantisches Talent unter Beweis. Mit drolliger Mimik und ausdrucksstarken Posen riss er das Publikum zu Beifallsstürmen hin. Dass in der zweiten Hälfte der Spannungsbogen ein klein wenig abflaute, lag an einem kurzen Regenschauer, häufigen Auf- und Abgängen und dem zwischenzeitlich doch allzu häufigen und dadurch etwas störenden Zwischenapplaus. Doch spätestens als der Chor zum Abschluss nochmals in den Ausruf „O Fortuna, velut luna“ einstimmte, war die Energie wieder da und es brandete minutenlanger, frenetischer Applaus auf, den sich alle Mitwirkenden redlich verdient hatten.
Erlös für einen guten Zweck
Insgesamt ein mehr als würdiger Abschied für Ernst Oestreicher, der zum allerletzten Mal als Künstlerischer Leiter des Salzburg-Klassikers fungierte. Der Erlös der Veranstaltung kommt dem Verein „Kultur … FÜR … humanitäre Hilfe“ zugute, der damit ein Entwicklungsprojekt in Burundi unterstützen wird. Spendenkonto: DE39 7935 3090 0000 5579 34