
75 Jahre Frieden nach Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung der Gefangenen aus den Nazi-Straflagern waren Anlass für die Kulturreferentin des Rhönklub-Zweigvereins Mellrichstadt, Evelyn Müller, eine Wanderung der nachdenklichen Art auf dem "Kreuzweg der Nationen" nahe Wildflecken anzubieten. Denn die Erfahrungen aus der Geschichte sollten nicht verblassen. So mahnt auch eine Inschrift auf der letzten Stele in Granit gemeißelt: „Die sich des Vergangenen nicht erinnern sind verurteilt, es noch einmal zu erleben" (G. Santayana).
Für das gute Dutzend Wanderfreunde aus Mellrichstadt und Umgebung war diese Wanderung von vier Kilometern Länge in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich eindrucksvoll. Mit Karl Naumann hatte die Kulturwartin nicht nur einen geschichtlich versierten, sondern auch musikalischen Wanderbegleiter zur Mitfahrt eingeladen. Mit selbst gezupfter Wandergitarre und seiner warmen Bassstimme sorgte er für ein besonderes Ambiente, als er an jeder der zehn Stelen entlang des ausdrucksstarken Kreuzwegs mit seinen besinnlichen Liedern dieser Themenwanderung eine besonders würdevolle Note verlieh.
Zehn beschriftete Steinstelen
Der Nationen-Kreuzweg selbst ist etwa eineinhalb Kilometer lang. Er ist so eine Art Geschichts-Lehrpfad, bestehend aus zehn beschrifteten Steinstelen und dem sogenannten Polenfriedhof mit der Rundkapelle. Auf Stele Nummer neun ist zu lesen, dass im Ersten Weltkrieg zehn Millionen und im Zweiten Weltkrieg sogar 55 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten. Diese Zahlen ließen die Gruppe erschaudern.
Die Stelen drei und vier erinnern an die deutschen Kriegsopfer. Auf drei weitere Stelen verteilt kann man die schockierenden Zahlen der Kriegstoten 1939 bis 1945 aus zwölf europäischen Ländern und zusätzlich noch zwei Kontinenten nachlesen. Auf weiteren Stelen wird der Toten aus dem Ersten Weltkrieg und jener des Atombombenabwurfs auf Hiroshima gedacht.
Viele Grabplatten und Gedenktafeln
Am Ende des Kreuzwegs trifft man auf den Polenfriedhof. Die vielen Grabplatten, Grabsteine und Gedenktafeln sind den 544 in Wildflecken gestorbenen Polen, darunter 428 Kinder, gewidmet, die zu rund 20 000 vertriebenen "displaced persons" aus dem Nachbarland gehörten. Diese Menschen waren über eine internationale Flüchtlingsorganisation nach Kriegende ins überquellende vormalige Militärlager in Wildflecken gebracht worden. 544 haben die dortigen erbärmlichen Verhältnisse nicht überlebt. Sie gehörten zum Großteil zu jener Volksgruppe, die aus dem russisch besetzten Polen vertrieben und damit heimatlos wurden. Bis 1951 gab es dieses heillos überfüllte Übergangslager, ehe diese Menschen auf Länder in Europa, Amerika und Australien verteilt werden konnten.
Evelyn Müller und Karl Naumann hatten sich auf das Thema gut vorbereitet und informierten die Wanderer über viele Einzelheiten zu den kriegsbedingten notleidenden Lebensumständen und über tragische Geschichten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit im Raum Wildflecken, aus der Rhön, dem Nachkriegsdeutschland, sowie zu dem Polen- und Flüchtlingsdrama.