zurück
OSTHEIM
Rhöner Reime: Ein Garten voller Lyrik
Die kleine Reimtafel von Klaus Weichmann ist bei Touristen in Ostheim immer wieder beliebte Anlaufstelle. „Stille Unterhaltung seit 1976“ verspricht die einzigartige Idee des Rhöners.
Foto: Gerhard Fischer | Die kleine Reimtafel von Klaus Weichmann ist bei Touristen in Ostheim immer wieder beliebte Anlaufstelle. „Stille Unterhaltung seit 1976“ verspricht die einzigartige Idee des Rhöners.
Gerhard Fischer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:54 Uhr

Es fällt nicht leicht, sich auf die besondere Neigung von Klaus Weichmann einen Reim zu machen. Warum dichtet ein Mensch seit 40 Jahren fast jeden Tag Zwei- oder Vierzeiler zu den kleinen und großen Fragen des Lebens? Beginnt mit 35 Jahren mit einem Reim auf seine Schwiegermutter zum Geburtstag und schreibt irgendwann gar an die Stadtverwaltung Briefe in Versform?

Warum stellt er in seinem Garten eine Tafel auf, wo an 26 Wochen des Jahres, von Ostern bis in den Herbst hinein, jede Woche gereimte Weis- und Drolligkeiten über das Leben aufgeschrieben werden zu Nutz und Frommen von Bürgern und Besuchern Ostheims vor der Rhön (Lkr. Rhön-Grabfeld)? Und warum türmt er irgendwann in seinem Garten Holzlatten zu einem pyramidenartigen Gebilde auf, um darauf bis heute 200 weiße Brettchen mit seinen gelungensten Reimen zu drapieren?

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Vielleicht liegt Weichmanns große Freude am Endreim darin begründet, dass er sein Lebtag in der Lutherstraße wohnt, ganz unweit also der Goethestraße oberhalb der Ostheimer Kirchenburg. Den Leuten aufs Maul schauen, wie es der große Reformator tat, das ist auch die Sache Klaus Weichmanns: „Ich bin nicht studiert, ich schreibe meine Verse auf meine Art. Und jeder kann sie verstehen“, sagt Weichmann, der im April 75 Jahre alt wurde.

Über 2000 Mehrzeiler

Mit Anfang 20 hat er sein Faible fürs Reimen entdeckt. „Ich war als Jugendlicher ein schüchterner Mensch“, gesteht Weichmann. Als er mit 21 Jahren seine Frau Ursula, eine Berlinerin, kennengelernt hatte, da sorgte er dafür, dass er bei seiner Schwiegermutter einen Stein ins Brett bekam. „Ich schrieb ihr ein Geburtstagsgedicht. Das war der Anfang von allem“, lächelt der Ostheimer.

Das Verfassen von Zwei- oder Vierzeilern wurde zum Hobby, um nicht zu sagen zu einer Obsession. Den erlernten Schreinerberuf übte Weichmann nicht Zeit seines Lebens aus. Nicht, weil er lieber Verse drechselte, sondern weil er als Metaller und als Mann für alles in einer Gewehrfabrik seine berufliche Erfüllung fand.

Nach der Schwiegermutter waren es die Kollegen, denen in wohlgesetzten Worten ein Jubiläums- oder Weihnachtsgruß zuteil wurde. „Irgendwann dachte ich, es wäre schade, alles wegzuwerfen“, erinnert sich Weichmann. Und er erfand die Ostheimer Reimtafel.

In Weichmanns Garten steht seit 40 Jahren nun schon diese überdachte Holztafel. Auf ihr sind seitdem Jahr für Jahr und Woche für Woche von Ostern bis in den Herbst die Früchte der Dichtkunst von Klaus Weichmann zu lesen. Das Ganze hat System. In jedem Jahr gibt es ein Jahresmotto. Dazu werden, Woche für Woche, neue Reime an die Tafel gepinnt. Das Motto in diesem Jahr heißt zum Beispiel „Zweifelsfrei – alles dabei“. „Es ist heuer nämlich alles dabei, eine Auswahl der Reime aus 40 Jahren“, erklärt Weichmann. Der Ostheimer kann aus einem reichen Fundus schöpfen. „Über 2000 Mehrzeiler sind es wohl geworden in all den Jahren“, sagt Weichmann und streift über die lange Reihe von Leitzordnern, in denen sein Gesamtwerk geordnet vorliegt.

Nicht, dass in Ostheim über den schwersten aller Gedanken gebrütet würde. Weichmanns poetischer Auftrag ist es, die einfachen Wahrheiten des Lebens kundzutun. „Fang den Tag mit Sonne an, dann kommt der Kummer gar nicht ran“, ist so ein Verslein, das sich Weichmann ausgedacht hat und das man sich am besten als erbauliches Täfelchen in Fluren und Hauseingängen vorstellen kann. „Mit Sorgfalt und Besonnenheit, kommt man doch noch mal so weit“ wäre noch so ein Beispiel Rhöner Gebrauchslyrik für den Alltag.

Nur manches Mal ist Klaus Weichmann in den 40 Jahren dezidiert politisch geworden. „25 Jahre Mauerfall / Jubel, Freude überall / Was Ost und West zusammengebracht / das ist für Beide eine Pracht“, hat der gebürtige Thüringer in der einstigen Thüringischen Enklave Ostheim geschrieben.

Genesungswünsche als Reim

„Abgekupfert ist nichts, die Reime sind alle in meinem Kopf entstanden“, betont Weichmann. Ob seine Reime in die Literaturgeschichte eingehen werden, ist ihm leidlich egal. „Jeder hat einen anderen Kopf und jeder hat seine eigene Art“, pocht er auf seine Eigenständigkeit.

Die wird seit 40 Jahren ordentlich goutiert. Von den Ostheimern, aber auch von den Touristen, die in der Touristinformation auf das besondere poetische Angebot hingewiesen werden. „Ab Ostern schauen die Leute bei mir vorbei, manchmal kommen ganze Gruppen bei mir zusammen“, freut sich Weichmann, der es vom schüchternen Jugendlichen zum Unterhalter geschafft hat.

Unterhalten und den Menschen Freude und Zuversicht vermitteln, das ist die große Aufgabe des Klaus Weichmann. Das gilt insbesondere auch für seine Frau Ursula. Die ist erkrankt. „Natürlich habe ich ihr Genesungswünsche in Gedichtform ins Krankenhaus geschickt“, sagt Weichmann. Für Kinder und Enkelkinder gibt es sowieso immer wieder Gereimtes mit auf den Lebensweg.

Der Stoff geht Klaus Weichmann auch mit 75 Jahren nicht aus. Und so dichtet er in seinem Ostheimer Häuschen Tag für Tag weiter, „von Herzen für den Nächsten“, wie er sagt. Die Angst vor dem weißen Papier, die schon andere Poeten geplagt hat, die hat er nicht: „Es gibt immer etwas, das sich reimt!“

Sonne soll in die Herzen der Menschen, dafür reimt Klaus Weichmann seit 40 Jahren in Ostheim (Lkr. Rhön-Grabfeld) zu den großen und kleinen Fragen des Lebens. Eine Reimpyramide mit seinen Werken nimmt den Vorgarten in Beschlag.
Foto: Fotos (3): Gerhard Fischer | Sonne soll in die Herzen der Menschen, dafür reimt Klaus Weichmann seit 40 Jahren in Ostheim (Lkr. Rhön-Grabfeld) zu den großen und kleinen Fragen des Lebens.
Klaus Weichmann dichtet nicht nur gerne, er war auch stets ein begeisterte Wanderer, wie die Wanderteller-Sammlung in seinem Wohnzimmer zeigt.
Foto: Gerhard Fischer | Klaus Weichmann dichtet nicht nur gerne, er war auch stets ein begeisterte Wanderer, wie die Wanderteller-Sammlung in seinem Wohnzimmer zeigt.
Souvenirs gibt es auch bei Klaus Weichmann.
| Souvenirs gibt es auch bei Klaus Weichmann.
Poesie auf Plättchen: Ausschnitt aus der Reimpyramide.
| Poesie auf Plättchen: Ausschnitt aus der Reimpyramide.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Ostheim
Gerhard Fischer
Gärten
Online-Tipp
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top