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Bad Neustadt
Rhön-Klinikum in Bad Neustadt: Rasanter Corona-Anstieg bereitet Sorgen
Intensivmediziner schlagen derzeit Alarm. Auch am Rhön-Klinikum nimmt auf der Intensivstation die Zahl der Covid-19-Patienten zu. Ärzte mahnen deshalb zu Geduld und Disziplin.
Immer mehr Corona-Patienten müssen intensivmedizinisch versorgt werden (hier ein Symbolfoto aus Gera). Warnende Stimmen, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, werden deshalb lauter.
Foto: Bodo Schackow/dpa  | Immer mehr Corona-Patienten müssen intensivmedizinisch versorgt werden (hier ein Symbolfoto aus Gera). Warnende Stimmen, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, werden deshalb lauter.
Sigrid Brunner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:11 Uhr

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt seit Wochen kontinuierlich an und damit auch die Zahl der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Bundesweit melden fast alle Kliniken eine deutliche Zunahme von Covid-19-Patienten auf ihren Intensivstationen. Angesichts der Situation wandten sich Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag in einem eindringlichen Appell an die Bundesländer, den Corona-Kurs sofort zu verschärfen. Werde die Entwicklung nicht gestoppt, sei schon jetzt absehbar, dass das Gesundheitssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit komme, erklärten sie.

Wie ist die intensivmedizinische Situation in Rhön-Grabfeld und damit am Rhön-Klinikum-Campus in Bad Neustadt? Jochen Bocklet (geschäftsführender Direktor des Rhön-Klinikums), Dr. Michael Dinkel (Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin) und Dr. Hassan Soda (Chefarzt der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin) gaben auf die Fragen dieser Zeitung folgende Antworten:

Frage: Gibt die steigende Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen auch in Rhön-Grabfeld Anlass zur Sorge?

Jochen Bocklet, geschäftsführender Direktor: Der rasante Anstieg von Covid-19-Patienten in unserer Region sowie die britische Mutation bereiten auch uns am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt Sorge. Die stationär zu behandelnden Covid-19-Patienten nehmen täglich zu. Immer häufiger müssen diese Patienten mittlerweile auf der Intensivstation versorgt werden.

"Triage"-Entscheidungen sind aktuell nicht zu befürchten.
Dr. Michael Dinkel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin
Kann es bald zu einer Überlastung bei der Behandlung von Intensivpatienten kommen? Sind sogenannte "Triage"-Entscheidungen zu befürchten? (Der Begriff "Triage" bezeichnet eine Situation, in der Ärzte entscheiden müssen, welche Patienten sie bei begrenzten medizinischen Kapazitäten bevorzugt behandeln)

Dr. Michael Dinkel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin: Im Moment verfügen wir über ausreichend Intensivkapazitäten. Entsprechend sind "Triage"-Entscheidungen aktuell nicht zu befürchten. Hierfür haben wir – sofern medizinisch vertretbar – planbare Eingriffe entsprechend dem Bedarf zunächst abgesagt beziehungsweise verschoben und somit Kapazitäten für Notfälle und Covid-19-Patienten geschaffen.

Könnte es passieren, dass Akutfälle wie Unfallopfer oder Herzinfarkte etc. nicht mehr aufgenommen werden können und somit an andere Kliniken verwiesen werden müssen?

Dr. Hassan Soda, Chefarzt der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin: Kapazitäten für Notfälle, wie Unfälle, Herzinfarkt oder Schlaganfall, halten wir auch in Zeiten von Corona vor. Daher mein Appell an die Bevölkerung: Sollten Sie Symptome für einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt bemerken, zögern Sie nicht und suchen Sie direkt unsere Notaufnahme auf oder rufen Sie den Rettungsdienst.

Besteht aus Ihrer Sicht die Möglichkeit, dass in der dritten Welle die Situation auf den Intensivstationen noch schwieriger wird als auf dem Höhepunkt der zweiten Welle Ende Dezember/Anfang Januar?

Dr. Dinkel: Wir haben gesehen, dass die britische Mutation infektiöser und der Verlauf der Erkrankung langwieriger ist. Daher kann man schon jetzt sagen, dass die dritte Welle schwieriger ist - auch im Hinblick auf die stationär zu behandelnden Patienten. Zudem werden uns als überregionales Corona-Schwerpunktkrankenhaus aus anderen Kliniken Covid-19-Patienten zuverlegt. Die Situation in Unterfranken ist angespannt. In vielen Kliniken sind mehr als die Hälfte der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Wir rechnen deswegen mit weiteren Zuverlegungen.

Die Belastung des Personals ist deutlich gestiegen.
Jochen Bocklet, geschäftsführender Direktor des Rhön-Klinikums
Wie ist die personelle Situation?

Jochen Bocklet: Die Belastung des Personals ist durch die zusätzlichen Covid-19-Patienten deutlich gestiegen. Wir versuchen, die belasteten Stationen mithilfe von Personal aus anderen Stationen/Bereichen zu unterstützen.

Was ist bei der momentanen dritten Welle anders, vor allem in Hinblick auf Alter, Schweregrad und Verweildauer der Patienten?

Dr. Dinkel: Die Patienten sind jünger als noch in der zweiten Welle (40 bis 60 Jahre). Wenn sie durch die Covid-Infektion krankenhauspflichtig werden, sind sie oft schwer krank und haben einen langen Weg vor sich, oft auf der Intensivstation. Immer häufiger werden Verfahren zur Unterstützung der Lungenfunktion (ECMO) eingesetzt. Die Versorgung ist deshalb aufwändiger und anspruchsvoller.

Inwieweit kann im Rhön-Klinikum die Zahl der Intensivbetten von derzeit etwa 132 noch erhöht werden?

Dr. Soda: Wir haben 136 Intensiv- und IMC (Wachstation)-Betten (laut DIVI, Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) am Rhön-Klinikum Campus, von denen aktuell – aufgrund personeller Ressourcen – 132 (Anm. d. Redaktion: Stand 14. April) genutzt werden können (43 Intensivbetten und 89 IMC-Betten). Diese Anzahl ist im Vergleich zu anderen Kliniken bemerkenswert hoch. Wir halten damit genügend Ressourcen für Notfallpatienten und Covid-19-Patienten entsprechend dem Personalbedarf vor.

Wie sehen Sie das aktuelle Vorhaben, per Gesetzesänderung Corona-Maßnahmen bundeseinheitlich durch die Bundesregierung zu steuern?

Jochen Bocklet: In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass jedes Bundesland, beispielsweise bei Testungen, eigenständig agiert hat. Da wir sowohl an Hessen als auch an Thüringen grenzen, begrüßen wir eine einheitliche Regelung durch die Bundesregierung. Nur so können wir die medizinische Versorgung optimieren.

Was möchten Sie abschließend gerne den Rhön-Grabfeldern mit auf den Weg geben?

Dr. Soda und Dr. Dinkel: Liebe Rhön-Grabfelder, wir sind weiterhin für Sie da und stellen Ihre Versorgung sicher. Dafür brauchen wir allerdings auch Ihre Unterstützung: Bitte haben Sie Geduld und Ausdauer, halten Sie die Hygienemaßnahmen (Abstand halten, Händedesinfektion, Maske tragen) ein und lassen Sie sich impfen, sobald Sie die Gelegenheit dazu bekommen.

Im DIVI-Intensivregister ist eine Karte aller Landkreise zu finden (hier Stand: 16. April), die Auskunft über die jeweilige Intensivbetten-Situation gibt.
Foto: Screenshot: Sigrid Brunner | Im DIVI-Intensivregister ist eine Karte aller Landkreise zu finden (hier Stand: 16. April), die Auskunft über die jeweilige Intensivbetten-Situation gibt.

Zahlen und Fakten des Intensivregisters

Das Intensivregister erfasst täglich die freien und belegten Behandlungskapazitäten in der Intensivmedizin von etwa 1300 Akut-Krankenhäusern in Deutschland. Im Rahmen der Corona-Pandemie werden zudem auch aktuelle Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter erwachsener Covid-19-Patienten aufgezeichnet. Das Register ermöglicht, Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung im regionalen und zeitlichen Vergleich zu erkennen. Es wird in Zusammenarbeit der DIVI mit dem Robert Koch-Institut betrieben.
Bayernweit ist die Zahl der aktuell auf Intensivstationen in Behandlung befindlichen Corona-Patienten von Anfang März bis jetzt von etwa 430 auf 762 gestiegen. Die freien Kapazitäten zur invasiven Beatmung gehen kontinuierlich zurück. Zum Stichtag 16. April wurden knapp 60 Prozent der Patienten invasiv beatmet. Im Moment sind in den bayerischen Kliniken mit Intensivstation noch 554 Intensivbetten frei, 3281 sind belegt. Der Anteil der Covid-19-Patienten liegt bei 22,5 Prozent. 
Im Landkreis Rhön-Grabfeld werden (Stand 16. April) 27 Corona-Patienten intensivmedizinisch behandelt. Damit liegt der Anteil dieser Patienten an der Gesamtzahl der Intensivbetten bei 19,2 Prozent. Von den 27 Intensivpatienten werden fünf invasiv beatmet. Das Intensivregister gibt zehn Intensivbetten (inklusive Wachstation) als noch frei an. 
Quelle: Intensivregister
 
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