Die Zahl der Corona-Infektionen steigt seit Wochen kontinuierlich an und damit auch die Zahl der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Bundesweit melden fast alle Kliniken eine deutliche Zunahme von Covid-19-Patienten auf ihren Intensivstationen. Angesichts der Situation wandten sich Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag in einem eindringlichen Appell an die Bundesländer, den Corona-Kurs sofort zu verschärfen. Werde die Entwicklung nicht gestoppt, sei schon jetzt absehbar, dass das Gesundheitssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit komme, erklärten sie.
Wie ist die intensivmedizinische Situation in Rhön-Grabfeld und damit am Rhön-Klinikum-Campus in Bad Neustadt? Jochen Bocklet (geschäftsführender Direktor des Rhön-Klinikums), Dr. Michael Dinkel (Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin) und Dr. Hassan Soda (Chefarzt der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin) gaben auf die Fragen dieser Zeitung folgende Antworten:
Jochen Bocklet, geschäftsführender Direktor: Der rasante Anstieg von Covid-19-Patienten in unserer Region sowie die britische Mutation bereiten auch uns am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt Sorge. Die stationär zu behandelnden Covid-19-Patienten nehmen täglich zu. Immer häufiger müssen diese Patienten mittlerweile auf der Intensivstation versorgt werden.
Dr. Michael Dinkel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin: Im Moment verfügen wir über ausreichend Intensivkapazitäten. Entsprechend sind "Triage"-Entscheidungen aktuell nicht zu befürchten. Hierfür haben wir – sofern medizinisch vertretbar – planbare Eingriffe entsprechend dem Bedarf zunächst abgesagt beziehungsweise verschoben und somit Kapazitäten für Notfälle und Covid-19-Patienten geschaffen.
Dr. Hassan Soda, Chefarzt der Klinik für Akutneurologie/Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin: Kapazitäten für Notfälle, wie Unfälle, Herzinfarkt oder Schlaganfall, halten wir auch in Zeiten von Corona vor. Daher mein Appell an die Bevölkerung: Sollten Sie Symptome für einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt bemerken, zögern Sie nicht und suchen Sie direkt unsere Notaufnahme auf oder rufen Sie den Rettungsdienst.
Dr. Dinkel: Wir haben gesehen, dass die britische Mutation infektiöser und der Verlauf der Erkrankung langwieriger ist. Daher kann man schon jetzt sagen, dass die dritte Welle schwieriger ist - auch im Hinblick auf die stationär zu behandelnden Patienten. Zudem werden uns als überregionales Corona-Schwerpunktkrankenhaus aus anderen Kliniken Covid-19-Patienten zuverlegt. Die Situation in Unterfranken ist angespannt. In vielen Kliniken sind mehr als die Hälfte der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Wir rechnen deswegen mit weiteren Zuverlegungen.
Jochen Bocklet: Die Belastung des Personals ist durch die zusätzlichen Covid-19-Patienten deutlich gestiegen. Wir versuchen, die belasteten Stationen mithilfe von Personal aus anderen Stationen/Bereichen zu unterstützen.
Dr. Dinkel: Die Patienten sind jünger als noch in der zweiten Welle (40 bis 60 Jahre). Wenn sie durch die Covid-Infektion krankenhauspflichtig werden, sind sie oft schwer krank und haben einen langen Weg vor sich, oft auf der Intensivstation. Immer häufiger werden Verfahren zur Unterstützung der Lungenfunktion (ECMO) eingesetzt. Die Versorgung ist deshalb aufwändiger und anspruchsvoller.
Dr. Soda: Wir haben 136 Intensiv- und IMC (Wachstation)-Betten (laut DIVI, Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) am Rhön-Klinikum Campus, von denen aktuell – aufgrund personeller Ressourcen – 132 (Anm. d. Redaktion: Stand 14. April) genutzt werden können (43 Intensivbetten und 89 IMC-Betten). Diese Anzahl ist im Vergleich zu anderen Kliniken bemerkenswert hoch. Wir halten damit genügend Ressourcen für Notfallpatienten und Covid-19-Patienten entsprechend dem Personalbedarf vor.
Jochen Bocklet: In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass jedes Bundesland, beispielsweise bei Testungen, eigenständig agiert hat. Da wir sowohl an Hessen als auch an Thüringen grenzen, begrüßen wir eine einheitliche Regelung durch die Bundesregierung. Nur so können wir die medizinische Versorgung optimieren.
Dr. Soda und Dr. Dinkel: Liebe Rhön-Grabfelder, wir sind weiterhin für Sie da und stellen Ihre Versorgung sicher. Dafür brauchen wir allerdings auch Ihre Unterstützung: Bitte haben Sie Geduld und Ausdauer, halten Sie die Hygienemaßnahmen (Abstand halten, Händedesinfektion, Maske tragen) ein und lassen Sie sich impfen, sobald Sie die Gelegenheit dazu bekommen.