Kritiker werfen der Rhön-Klinikum AG in Bad Neustadt vor, bei der Privatisierung der Uni-Klinik Gießen und Marburg versagt zu haben. Es geht - wie so oft - ums Geld.
Wie alles entstand: Unterschriftsreife Pläne für den Bau eines neuen Universitätsklinikums im hessischen Gießen lagen schon vor. Doch der damalige CDU-Ministerpräsident Roland Koch stoppte 2001 derlei Anstrengungen.
Wie der Streit entstanden ist
Koch, dem nicht unbedingt der Ruf eines Experten in Sachen Hochschulpolitik vorauseilte, fand: Zwei Uni-Kliniken in Hessen sind mindestens eine zuviel – aus Kostengründen. Die Signale aus der Landeshauptstadt verfehlten ihre Wirkung nicht: Während Frankfurt – leistungsmäßig der schwächste der drei damaligen Medizinstandorte im Land – als unantastbar galt und Marburg sich in einer Phase der Dauersanierung befand, kristallisierte sich schnell heraus, welcher Standort mit einem Mal in akuten Existenznöten steckte.
Gießen machte Sorgen
In Gießen hatte sich ein Investitionsstau von mehr als 180 Millionen Euro angehäuft, den Wiesbaden nicht bereit war, abzutragen. Marburg seinerseits frohlockte bereits, „spätestens Ende 2012 ist Gießen akademisches Lehrkrankenhaus“ des Nachbarn 30 Kilometer weiter nördlich der Lahn. Doch auch dazu sollte es nicht kommen.
Kochs Entscheidung wirkt nach
Denn Koch entledigte sich in einem aus seiner Sicht genialen Schachzug gleich beider Häuser: Zuerst legte er die beiden Kliniken zusammen – die Fusion erfolgte zum 1. Juli 2005 – um sie dann Anfang des darauffolgenden Jahres an die Rhön-Klinikum AG zu verkaufen. Das in Bad Neustadt an der Saale ansässige Unternehmen setzte sich gegen Mitbewerber wie Helios und Fresenius unter anderem deshalb durch, weil es sich verpflichtete, keine Gelder des Landes bei Bauinvestitionen in Anspruch zu nehmen. Eine Entscheidung, die bis heute nachwirkt.
Gießen und Marburg wurden zusammengefasst
Der private Krankenhausbetreiber verpasste der zusammengeführten Einheit den Namen Universitätsklinik Gießen und Marburg (UKGM), ohne dass sich allerdings der von Koch prognostizierte Leuchtturmeffekt bis heute eingestellt hätte. Zu umstritten ist das Projekt. Und zu unterschiedlich entwickeln sich die Standorte, zu häufig wechseln die Geschäftsführungen – daran ändern auch die gebetsmühlenartig vorgetragenen Bekenntnisse zu einer Medizinregion Mittelhessen wenig. So soll Marburg 2014 ein Minus von circa 5,3 Millionen Euro eingefahren haben, während Gießen ein leichtes Plus verzeichnet.
Kritik der Hochschulmediziner
Zu den heftigsten Kritikern des Verkaufs gehört die einflussreiche Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin. Sie hat dem Betreiber des Großkrankenhauses, der Rhön AG, ein verheerendes Zeugnis ausgestellt.
„Aus der heutigen Perspektive ist klar erkennbar, dass die Privatisierung des Universitätsklinikums an beiden Standorten gescheitert ist“, schreibt die Arbeitsgemeinschaft, in der sämtliche für die Medizin in Deutschland maßgeblichen Institutionen vereint sind, darunter der Deutsche Hochschulverband, der Marburger Bund und die Bundesärztekammer, den Verantwortlichen ins Stammbuch.
Kirchen in Sorge
Die Erfahrungen am UKGM hätten gezeigt, dass die von dem privaten Unternehmen geforderten Rendite-Erwartungen mit den Aufgabenfeldern eines Uni-Klinikums nicht in Einklang zu bringen seien. Ein Hochschulkrankenhaus bestehe nicht nur aus der Behandlung schwersterkrankter Patienten, sondern habe dienende Aufgaben in Forschung und Lehre. Für die Beschäftigten des Großkrankenhauses ist die Zusammenlegung mit enormen Belastungen verbunden. So berichtete der Gesamtbetriebsrat bereits 2009 von rund 250 000 angehäuften Überstunden.
Andere Länder wären fast dem Beispiel in Hessen gefolgt
Mehr als einmal beschäftigt die Entwicklung die Hochschulgremien: Der Senat der Justus-Liebig-Universität Gießen warnte am 14. März 2012 in einem einstimmigen Beschluss vor einer Personalkürzung und weist zugleich auf den regelwidrigen Einsatz von Ärzten hin. Auch die Kirchen zeigen sich besorgt: In einem gemeinsamen Brief an den Rhön-Vorstand bringen der evangelische und der katholische Dekan in Gießen ihre große Sorge um das Patientenwohl am UKGM zum Ausdruck. Feststeht: Hätte die Privatisierung die ihr zugedachte Vorbildfunktion eingenommen, wären andere Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen mit seinen leeren Kassen und den viel zu vielen Uni-Kliniken dem hessischen Beispiel gefolgt.
Millionenverluste statt Rendite
Dass dem nicht so ist, muss dennoch nicht als Scheitern des Verkaufs in Gänze angesehen werden: Für den Standort Gießen – und daran zweifelt niemand – kommen die bislang mehr als 350 Millionen Euro, die der Rhön-Konzern im Süden der Stadt investiert hat, einer Existenzsicherung für „die nächsten 50 Jahre gleich“, wie der Ärztliche Geschäftsführer des Großkrankenhauses, Werner Seeger, einmal bemerkte. Während sich die Verantwortlichen vor Ort also über den Bau eines neuen Klinikums freuen können, halten die Proteste weiter nördlich der Lahn gegen die Privatisierung an.
Gegner fordern: Hessen soll die Uniklinik wieder zurückkaufen
So fordert etwa das dortige Aktionsbündnis „Gemeinsam für unser Klinikum“ den Rückkauf des Hauses durch das Land. Auch wirtschaftlich bleibt die Privatisierung bislang vieles schuldig. Für den Konzern und die Aktionäre hat sich das vermeintliche Vorzeigeprojekt längst zu einem dicken Minusgeschäft entwickelt. Statt Rendite abzuwerfen, häuft das Klinikum mehrstellige Millionenverluste an, die Belegschaft fühlt sich ausgelaugt – die Überlastungsanzeigen haben ein Rekordniveau erreicht. In diesem Zusammenhang muss wohl auch die angedrohte Klage der Konzernspitze in Höhe von 25 Millionen Euro Ende des vergangenen Jahres verstanden werden, die der zum Jahresbeginn ausgetauschte Vorstandsvorsitzende Martin Siebert an die Adresse der hessischen Landesregierung gerichtet hat.
Streit über Verrechnung
Bei Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) stößt derlei Gebaren auf Unverständnis. „Seit zwei Jahren bieten wir dem Krankenhausbetreiber Hilfe bei Bauprojekten an“, betont Bouffier. „Allerdings ohne Erfolg.“ Geknüpft sei eine Unterstützung aus Wiesbaden jedoch an Bedingungen: „Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen sowie eine Übernahme der Auszubildenden.“ Mit der Begründung, dabei handele es sich um einen Eingriff in „die unternehmerische Freiheit“, habe der Klinikbetreiber derlei Offerten bislang abgelehnt, so Bouffier.
Seit Jahren schwelt zwischen den Universitäten und dem Krankenhausbetreiber ein Streit über die Modalitäten der sogenannten internen Leistungsverrechnung – der Trennungsrechnung.
Einigung im Streit ist nicht in Sicht
Darin haben UKGM und die Universitäten geregelt, wer welche Kosten übernimmt. So kommt die Rhön AG für die Ausgaben bei der Krankenversorgung auf, während das Land über die Universitäten Gießen und Marburg die Kosten für Forschung und Lehre trägt. Nur: Aus Sicht der Rhön AG werden zunehmend Mittel aus dem Bereich der Krankenversorgung für Forschung und Lehre „zweckentfremdet“. Eine Einigung in absehbarer Zeit ist nicht in Sicht.
"Bauernopfer" rum. Mittlerweile holt sich die Natur jedoch mit Geduld den Schaden als "Grüne Lunge" zurück.
Fazit: die Zeit heilt Wunden....