Schüsse sollen Samstagnacht in der Nähe des Sportheims von Herschfeld gefallen sein, später sind liegengebliebene Patronenhülsen gefunden worden. Was zunächst für den Außenstehenden höchst bedrohlich klingt, erklärt sich jedoch ganz schnell. Die konstruierte Situation ist Teil der Großübung "Blue Flag 2019" des Vereinte Nationen Ausbildungszentrums der Bundeswehr Hammelburg (VNAusbZBw) im Landkreis Rhön-Grabfeld. Die Ausbildung findet - wie beispielsweise auch schon im vergangenen Jahr - verstreut über den Landkreis statt. Sie bildet den Abschluss des internationalen UN-Militärbeobachter-Lehrgangs.
Die insgesamt 180 beteiligten Personen aus 21 Nationen, darunter auch Vertreter der Bundespolizei, befinden sich aktuell unter anderem in Herschfeld, Niederlauer, Aubstadt, Wargolshausen oder Hendungen. Das Ziel: Künftige UN-Militärbeobachter bestmöglich auszubilden, damit diese dann weltweit in Krisenregionen entsendet werden können, um dort zur Stabilisierung der Sicherheitslage beizutragen. Das Besondere der sogenannten "Military Expert on Mission": Sie sind dabei grundsätzlich unbewaffnet. "Ihre Waffe ist das Wort", erklärt es Oberst Werner Klaffus und Kommandeur des Ausbildungszentrums.
Treffen mit dem "War Lord"
Für die 26 Lehrgangsteilnehmer aus neun Nationen geht es beispielsweise um den Umgang und die Verhandlung mit Führern von örtlichen Konfliktparteien. Im Rahmen der Übung sitzen zwei militärische Anführer, in diesem Fall "War Lords" genannt, jeweils in Hendungen und Niederlauer. Die Militärbeobachter befinden sich in ihren Teamlagern, die in Herschfeld und Aubstadt angesiedelt sind und erleben mehrmals im Rahmen dieser Tage den Besuch eines Anführers. So auch an jenem Samstagvormittag. Die "Blauhelme", die unter anderem aus Kolumbien, Schweden, Angola oder Kasachstan stammen, beobachten dabei stillschweigend das Treffen, in dem über den aktuellen Stand der Konfliktsituation gesprochen wird. Sie sollen daraus ihre Schlüsse für kommende Schritte ziehen.
Patrouillenfahrten zu anderen "Schauplätzen" gehören für die künftigen Militärbeobachter ebenfalls zum täglichen Ablauf der Übung. Dass sich diese in dem für sie völlig unbekannten Terrain trotz Landkarte auch einmal mit ihrem Auto verfahren, ist nicht ungewöhnlich und könnte schließlich so auch in der Realität passieren. "Das ist einkalkuliert", erklärt Sebastian Vogt. Der Oberleutnant und Presseoffizier beschreibt die Übung als ein freilaufendes Szenario, in dem alles aufeinander aufbaut. "Es gibt auch feste Elemente, die wir vorher planen, sogenannte 'Incidents'", führt er weiter aus. Ein solches Element ist beispielsweise das Nachstellen von eben jenen Schüssen bei Herschfeld. Außerdem müssen sich die Lehrgangsteilnehmer mit einem vorgegebenen Budget selbst um ihre Verpflegung kümmern. "Da hatten wir in der Vergangenheit auch schon kreative Teilnehmer, die einen Caterer aus der Region engagiert haben", erklärt Sebastian Vogt.
"Rekrutierung in Kleinwenkheim"
Welchen großen Aufwand die Bundeswehr für diese Übung betreibt, zeigt unter anderem auch eine fiktive Rekrutierungsveranstaltung, die im weiteren Verlauf des Samstags in Kleinwenkheim stattfand. Dort wollte eine Konfliktpartei neue Kräfte für die Truppe anwerben. Die potenziellen Interessierten probierten unter anderem vor Ort Waffen aus. Auch ein Medizinzelt war aufgebaut, um den Fitnesszustand der Kandidaten zu überprüfen. "Die Militärbeobachter müssen dann eben überprüfen, ob in diesem Gebiet Waffen überhaupt erlaubt sind und ob vielleicht nicht auch Kinder angeworben werden", beschreibt Oberst Klaffus das Szenario. Für Klaffus ist bei der Übung kein Aufwand zu groß, wenn es darum geht, die Militärbeobachter gut auszubilden. "Die treffen schließlich unbewaffnet auf bedrohliche Leute in für sie völlig fremden Ländern. Denen will man auf der Straße eigentlich nicht begegnen".
Apropos kein Aufwand zu groß: In diesem Jahr hat die Bundeswehr sogar dafür gesorgt, dass den Teilnehmern ein Hubschrauber der Bundespolizei für die Überwachung aus der Luft zur Verfügung steht. Als Landeplatz wurde dafür der alte Herschfelder Sportplatz ausgesucht.
Unkomplizierte Organisation vor Ort
Dass die zahlreichen UN-Geländewagen oder auch gepanzerten Transportfahrzeuge aktuell wieder durch Rhön-Grabfeld fahren können, liegt auch an der aus Bundeswehrsicht unkomplizierten Zusammenarbeit mit den jeweiligen Verantwortlichen vor Ort. So stellt beispielsweise Stephanie Philipp-Schirmer, Vereinsvorsitzende vom SV Herschfeld, wieder ihr Sportheim und das Gelände zur Verfügung. "Da möchte ich mich auch für das Verständnis unserer Mitglieder bedanken", erklärt Philipp-Schirmer, die auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in Hammelburg hofft.
Und während sich der eine oder andere dieser Tage über die Bundeswehrfahrzeuge oder einen kreisenden Hubschrauber gewundert haben dürfte, ist für die Einwohner der Ortschaften im Übungsraum die Anwesenheit der Bundeswehr schon zur Normalität geworden. "Schön, dass ihr wieder da seid", hört man da des Öfteren. Wohl wissend, dass es sich nur um eine Übung handelt, die letztlich noch bis einschließlich diesen Mittwoch andauert.