
"Wir haben nur geheult", beschreibt Sabine Kirchner aus Hohenroth ihre Gefühlswelt und die ihres Mannes Klaus. Es waren Tränen der Freude und Erleichterung. Weit weg von hier, im 18 000 Kilometer entfernten Rockhampton im australischen Bundesstaat Queensland, schenkte ihre Tochter Felicitas (29) ihrem ersten Kind das Leben. Wayne (36) heißt der stolze Ehemann und Papa, Pippa Joy die Tochter, die das Familienglück krönt.
Glücksgefühle, wie sie viele Eltern dankbar erleben. In diesem Fall aber doch etwas Besonderes. Und da kommt Corona ins Spiel. "Sie wollte mich an ihrer Seite haben, aber die Corona-Pandemie hat es verhindert", sagt Oma Sabine Kirchner. "Das war und ist unsere Herausforderung, mit Corona klar zu kommen", stellt sie fest. "Die Sehnsucht, bei Felicitas zu sein, war groß, die Enttäuschung noch größer." Im Nachhinein ist sie aber bester Laune. Die Anspannung, das Bangen und Mitfiebern wichen der Glückseligkeit, als alles gut gegangen war.
Ein absoluter Sonnenschein
Das untermauert die frisch gebackene Mama in einer Whats-App-Nachricht an diese Redaktion, in der sie vor Jahren ein Praktikum absolvierte. Der Kontakt zu ihr ist nie abgebrochen. Felicitas schreibt: "Die süßeste Prinzessin wurde am Mittwoch, 20. Januar, um 8.35 Uhr – das war am Dienstag, 23.35 Uhr, deutscher Zeit – geboren. Pippa Joy hat ein wenig Unterstützung gebraucht und kam deshalb via Kaiserschnitt. Sie war 49 Zentimeter groß, wog 3512 Gramm und ist ein absoluter Sonnenschein. Unser kleines Regenbogen-Baby macht unser Glück nach langer Reise einfach perfekt." Regenbogen-Baby wird ein Kind bezeichnet, das nach einer Fehlgeburt geboren wird. Es beschreibt die Gefühle, wenn man nach einem Sturm einen Regenbogen sieht.
Gedanklich hatte Sabine Kirchner ihre Koffer schon gepackt und sich auf die große Reise nach "Down Under" (wörtlich "unten drunter", so wird Australien umgangssprachlich auch genannt) gefreut. Auch "ihre" Mütter beim Babyschwimmen, das sie seit 22 Jahren leitet, hatte die ebenso engagierte wie temperamentvolle 54-Jährige noch im Oktober über ihre bevorstehenden Oma-Freuden informiert. Und auch darüber, dass der Wasserspaß mit den Säuglingen und Kleinkindern deshalb ausfällt. Das erledigte sich dann von selbst. Wie auch der geplante Flug. Am 23. Dezember wollte Sabine "abheben". Den 24-Stunden-Flug – mit entsprechenden Zwischenlandungen – von Frankfurt nach Dubai, weiter nach Brisbane und schließlich nach Rockhampton hätte sie für den geplanten zehnwöchigen Aufenthalt nur zu gerne in Kauf genommen.
So fern und doch so nah
Als stets positiv denkender Mensch ließ sie sich von Corona nicht unterkriegen. "Das ist der Vorteil des großen technischen Fortschrittes", beschreibt sie die Möglichkeit, über Video-Chat persönlich so fern und doch so nah zu sein. So erlebten sie und ihr Mann Klaus mit, wie Wayne seine Frau ins Krankenhaus fuhr. "Dann war Sendepause, denn es war ein geplanter Kaiserschnitt", sagt Sabine Kirchner. "Wir haben mitgefiebert."
Dann der Anruf von Wayne (in Deutschland war's nachts um 0.30 Uhr), das Bild, wie er Tochter Pippa Joy im Arm hält, und Freudentränen. "Wir waren aufregt, Wayne auch. Und da finde mal in diesem hoch emotionalen Gefühlschaos die richtigen Worte – und dann noch auf Englisch", stellen Sabine und Klaus mit einem Schmunzeln fest. Und ergänzen sofort: "Wir sind so glücklich, dass beide gesund sind." Und für Felicitas (Bedeutung: das Glück) ist ihr Kind, wie wohl für jede Mama, "das schönste Baby der Welt".
Blackwater wird zum Glücksbringer
Da drängt sich geradezu die Frage auf: Wie hat sich das junge Paar überhaupt kennengelernt? Da kann Sabine Kirchner jetzt lachen, auch wenn sie und ihr Mann zwischendurch eine Achterbahn-Fahrt der Gefühle erlebten. Nach dem Abitur am Rhön-Gymnasium zog es Felicitas, im Verwandten- und Freundeskreis nur "Flici" genannt, in die große, weite Welt. Sie wollte ein Jahr als Au-pair nach Australien. Ihr Ziel: die 5,3 Millionen Einwohner-Metropole Sydney. Die Agentur indes hatte für sie "nur" das recht kleine Blackwater im Outback von Queensland zu bieten, wo sie in einer Familie zwei Kinder (2 und 6 Jahre) betreute. Blackwater sollte für sie im Nachhinein zum großen Glücksbringer werden. Zum Ende ihres Au-pair-Aufenthaltes, vier Wochen vor dem Rückflug in die Heimat, lernte sie nämlich Wayne kennen. Und verliebte sich in ihn. Und er in sie.
Schweinsbraten mit Kloß und Soß
Bei ihrer Ankunft am Flughafen in Frankfurt wünschte sich Felicitas als Erstes fränkische Hausmannskost: Schweinsbraten mit Kloß und Soß auf dem Kloster Kreuzberg. Prompt wurde das Auto zum Heiligen Berg der Franken gesteuert. Felicitas redete dort gar nicht lange um den heißen Brei herum. "Also, ich will euch gleich sag'n, ich hab' mich verliebt", hat sie laut ihrer Mutter damals mitgeteilt. "Mir ist fast der Kloß im Hals stecken geblieben", lacht Sabine. Felicitas blieb zielstrebig, absolvierte in Berlin ihr Studium in Sport und Journalismus und in diesem Rahmen ein halbjähriges Praktikum bei der Rhön- u. Saalepost. In den Semesterferien flog sie zu ihrem Wayne, nach dem Studium für immer. "Und wir sind von der Rhön nach Berlin gefahren, um die Wohnung auszuräumen", sagt Sabine augenzwinkernd.
Dann ging's schnell: Per Videotelefonie hielt Wayne traditionell bei den Kirchners um die Hand ihrer Tochter an. "Unser Herz hat bis zum Anschlag geklopft. Auf diese unerwartete, überraschende Aktion haben wir erst einmal einen Ramazotti getrunken", grinst Sabine. Und sie haben natürlich Ja gesagt. Wayne und Felicitas sind seit 2015 verheiratet und jetzt eine richtige Familie. Die trägt den Nachnamen Sauer, weil Wayne deutsche Vorfahren hat, wie Sabine Kirchner erklärt.
Große Freude bei "Tick-Tack"-Oma Alma
Oma und Opa treibt natürlich die Sehnsucht um, ihre Tochter mit Familie in absehbarer Zeit in die Arme schließen zu können. "Da braucht es sonst nicht mehr." Sie hegen die Hoffnung, im ersten Halbjahr 2021 noch nach Australien fliegen zu dürfen. Ebenso wie der Besuch von Felicitas' Familie im Dezember in Hohenroth eingeplant ist. Darauf freut sich insbesondere "Tick-Tack"-Oma Alma Kirchner aus Lebenhan, die mit Pippa Joy ihr erstes Urenkelkind begrüßt. "Für sie hat sich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt", freuen sich Sabine und Klaus. "Pippa Joy wird zweisprachig aufwachsen", ergänzt Sabine. Eines ist bereits jetzt schon sicher: Eines Tages wird Pippa Joy ihren Großeltern die eine oder andere English-Lesson erteilen.