
Pu der Bär und seine Freunde übernachten augenblicklich im Rautenkranz, in der Spielstätte des Jungen Staatstheaters Meiningen. Christian Claas hat ein Puppenspiel nach dem Kinderbuchklassiker von A.A. Milnes aus den 1920er Jahren, geschrieben, inszeniert und musikalisch untermalt und Sebastian Putz und Falk P. Ulke erwecken die Lieblinge der frühen Jahre zum Leben.
Wer als Erwachsener die Originalgeschichten von Winnie-the-Pooh mit den Illustrationen von Ernest H. Shepard kennt oder wer als Kind damit aufgewachsen ist, der pflegt eine verständliche Distanz zu jeder Art Verdisneysierung der Figuren.
Wenn man die Geschichten wie ein staunendes Kind liest, landet man ohne Umschweife im 160-Morgen-Wald (nicht 100 Morgen, liebe Meininger Macher!), in dem Winnie-the-Pooh in der Fantasie des Autors und väterlichen Erzählers lebte.
Pu wird selbst für Erwachsene zu einem unverwechselbaren Charakterbären
Der berichtete seinem Sohn Christopher Robin allabendlich von den Abenteuern des "Bären von sehr geringem Verstand". Und so wurde aus Christopher Robins Lieblingsschmusetier, das täglich kopfüber – rumpeldipumpel – treppauf und treppab geschleppt wurde, ein autonomes Wesen des Waldes, das nichts mehr liebte als den Honig.
Die zweite Ebene der Erzählung ist nur Erwachsenen zugänglich: die Ironie zwischen den Zeilen und die Anspielungen auf verzeihliche menschliche Schwächen. Der geniale Wortakrobat Harry Rowohlt hat die Geschichten in den 1980er Jahren so ins Deutsche übertragen, dass diese Zwischentöne eine eigene Melodie entwickelten und Pu selbst für Erwachsene zu einem unverwechselbaren Charakterbären wurde.
All diese Feinheiten lassen sich in einer 50-Minuten-Inszenierung für Kinder ab vier Jahren natürlich nicht umsetzen. Man beschränkt sich in Meiningen also auf Ebene eins, die den Kleinen direkt zugänglich ist.
Die Puppenspieler treten very british auf
Pu und seine Freunde sind von Puppenbauer Tobias Eisenkrämer liebevoll umstrickte und – im wahren Sinn des Wortes – betuchte Stofftiere, die von Putz und Ulke sanft an der Hand geführt werden. Den 160-Morgen-Wald hat Karina Liutaia gestaltet, mit Pus Domizil, mit einer buntgemusterten, stoffumhüllten alten Eiche, die sich flugs in Hases Heim verwandelt, und mit Christopher Robins Wigwam.
Die Puppenspieler treten, very british, mit Knickerbocker, Kniestrümpfen, Weste und Melone auf – eine pfiffige Idee. Die Hauptfiguren springen direkt aus einer alten ledernen Aktentasche in einige der Abenteuer, die man kennt: Pu im Kampf mit den Bienen, Pu, der Honignaschbär, der in Hases Haustür steckenbleibt, Pu, der Ferkel aus dem Hochwasser rettet oder Pu als Ehrengast auf Christopher Robins Party.
Das alles wird Abenteuer für Abenteuer in Szene gesetzt. Und verliert leider mit der Zeit seinen Charme. Zum einen fehlt es an attraktiven Mitteln, außer mit musikalischen Einspielungen Atmosphäre zu schaffen, zum Beispiel bei Ferkels Rettung aus dem Hochwasser.
Bei den Übergängen hapert es ein wenig
Zudem hapert es bei den Übergängen von einem Kapitel zum anderen. Sie sind unvermittelt und zu beliebig. Da sehnt man sich nach einer begleitenden Stimme aus dem Off, die einen roten Faden spinnt, der Vertrautheit schafft – etwa die Stimme eines Erzählers wie A.A. Milne.
Die spürbare Abnahme der Aufmerksamkeit der Kleinen im Lauf der Handlung ist ein untrügliches Zeichen für die Schwäche der Dramaturgie. Da können die beiden Puppenspieler auch mit nonchalanter britischer Gestik wenig gegensteuern. Vielleicht ist es aber auch so, dass sich bestimmte Charakterköpfe der Kinderliteratur am liebsten dort zu Hause fühlen, wo sie ursprünglich lebten: im Buch.
Nächste Vorstellungen: 6. und 7. Oktober, 28. Dezember. Karten und Infos über Telefon 03693-451 222. www.staatstheater-meiningen.de