Der ewige Polt und seine Freunde, die Well-Brüder aus'm Biermoos. Jetzt mal wieder im Meininger Theater, bejubelt und beklatscht, selbstverständlich im ausverkauften Haus, zum Nachspiel der Meininger Kleinkunsttage. Gleich am Anfang lassen die vier von Kirill Petrenko grüßen, der einst seine unvergleichliche Karriere als Dirigent in Meiningen begann. Das öffnet die Herzen – und schon kann das Spektakel beginnen.
Die Stimme der Opposition
Seit gefühlten hundert Jahren begleiten sie das Leben derjenigen Altbayern, Franken und Angehörigen naher und ferner Volksstämme, die sich mit den Seelenverkrustungen der Menschheit, insbesondere mit denen von Funktionsträgern einer bestimmten staatstragenden Partei, mit Scheinheiligkeit, Speziwirtschaft und sämtlichen Tümeleien partout nicht anfreunden wollen. Zeitweise wurde sogar gemunkelt, Gerhard Polt und die Well-Geschwister seien die wahre Opposition im Bayernland.
Ginge es nach der Hochrechnung der Begeisterung der Zuschauer, die der Rezensent im Lauf von zwei Jahrzehnten wahrgenommen hat, müsste Polt längst Landesvater sein und Christoph „Stofferl“ Well bayerischer Kultusminister. Nichts dergleichen geschah. Aber die Universalmusiker und Kabarettisten singen weiter gegen die Hohlheit der Zeit und der Leut an, als gäbe es keine Alternative zum subversiven Frohsinn. Gibt es auch nicht, wie Stofferl, Michael und Karl Well vor der letzten Zugabe im Sinne des bayerischen Querkopfs Oskar Maria Graf verkünden: Weil man gegen den Tod nichts machen kann, lacht man ihn am besten aus. Das nennt man Humor. Oder, weiter gefasst: Weil man gegen die allseits grassierenden Verkrustungen nichts machen kann, lacht man sie aus – Balsam für die wunde Seele. Überlebenskunst könnte man das nennen, wie sie auch der einst gerühmte bayerische Kulturanarchist Herbert Achternbusch verkündete: „Du hast keine Chance, aber nutze sie.“ Und so lauscht das Volk in Meiningen ergriffen dem, was die vier „Gehobene Unterhaltung mit humanitärem Beigeschmack“ nennen – ein Potpourri aus verschiedenen Programmen der vergangenen Jahre.
Das Hohe Lied des Humors
Man könnte fast neidisch werden, wenn man sieht und hört, mit welch hoher Kunst von Professionalität, Improvisation und Routine Polt und die Well-Brüder das Hohe Lied des Humors singen, sprechen und spielen, ohne – wie viele andere – in Zynismus zu verfallen. Im Gegenteil: Nach wie vor beackern sie die Felder der traditionellen Volkskunst und pflegen deren widerspenstige Wurzeln. Nur Gerhard Polt könnte man in die Ecke eines gealterten Grantlers stellen, wenn er so mit verschränkten Armen neben den Musikern sitzt und regungsarm vor sich hinguckt, bis er im nächsten Augenblick, ohne mit der Wimper zu zucken, zu anderen Wesen mutiert: zum erzürnten Freiwilligen Feuerwehrler, zum erregten indischen Pfarrer, zum schuldunbewussten Landrat, zur weichgespülten Radiomoderatorin, zum Opa mit klaren Erziehungsprinzipien, zum Demokratieerklärer, zum Alkoholsportler oder zum reinkarnierten Johannes Heesters, der im Altwiener Lamento die Frage beantwortet: „Wos is der Mensch? A ganz a klaane Maus.“
Wer eine Erkenntnis von solch existenzphilosophischer Tragweite mit der Wirklichkeit konfrontiert, in der mit erschreckend heiligem Ernst jahrhundertein, jahrhundertaus Rituale jeglicher Provenienz zelebriert werden, dann kann man nicht anders, als sich mit seinen bescheidenen Mitteln dem Singsang anzuschließen und gelegentlich tief aus dem eigenen Sonnengeflecht heraus ein jodelähnliches Geräusch auszustoßen.