37 Kilo Plastikmüll produziert jeder Bundesbürger im Durchschnitt im Jahr. Das besagt zumindest eine Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Bei Kerstin König aus Fladungen ist das deutlich weniger. Seit vier Jahren versucht die 41-jährige Hauswirtschaftsmeisterin bewusst auf Plastik zu verzichten. „Komplett plastikfrei lebe ich aber noch lange nicht“, gesteht sie.
Seit China Anfang des Jahres keine gelben Säcke mehr annimmt, ist auch dem letzten klar: Die EU hat ein Plastikmüll-Problem. Eine Entwicklung, auf die Kerstin König schon seit vier Jahren aufmerksam macht, indem sie Vorträge zu dem Thema hält und die Internetseite Plastikfrei in der Rhön betreibt.
Eine Gefahr für die Gesundheit
Der Dokumentarfilm Plastic Planet hatte der Fladungerin damals die Augen geöffnet. Plastik erfuhr sie darin, ist zwar einerseits ein praktisches, preiswertes und flexibles Material, aber als nicht verrottender Plastikmüll eine Gefahr für den Planeten und aufgrund giftiger Zusatzstoffe auch für die Gesundheit.
„Der Film regt zum Nachdenken an“, findet sie. „Klar ist es sinnvoll, Müll zu trennen, noch sinnvoller ist es aber deutlich weniger Müll zu produzieren.“ Denn recycelt werde beim Plastikmüll eben nur knapp die Hälfte, der Rest wird verbrannt oder wurde bislang exportiert.
Das änderte Königs Leben
Diese Erkenntnis veränderte Königs Leben. „Wenn dir etwas bewusst wird, kannst du nicht mehr wie vorher weiterleben“, ist sie überzeugt. Zunächst hatte sie sich im Internet und von diversen Büchern in puncto Alternativen inspirieren lassen. Dann sprang sie einfach Hals über Kopf in die Praxis.
Damals suchte sie gerade nach einem Vortragstitel für ihre Hauswirtschafts-Meisterprüfung und wählte als Projekt kurzerhand „Plastikfrei und Spaß dabei.“ „In der Zeit habe ich viel ausprobiert, um herauszufinden, was praktikabel ist.“
Mit wenig Aufwand plastikreduziert leben
Auf dem Land, findet sie, könne man relativ gut und mit wenig Aufwand plastikreduziert leben. Sie selbst beispielsweise hat einen großen Garten mit Obst und Gemüse, viele Lebensmittel werden von ihr eingekocht oder eingefroren. „Eine gute Planung und Vorratshaltung ist das A und O“, erzählt sie.
Während Großstädter auf extra eingerichtete Unverpackt-Läden zurückgreifen müssten, könne man in der Rhön seine Kartoffeln beispielsweise noch direkt vom Bauern beziehen. Auf ihrer Internetseite hat König begonnen eine Liste zu erstellen, bei welchen Rhöner Händlern es Produkte plastikfrei gibt. Dabei stehe sie noch relativ am Anfang. Sie hofft auf Unterstützung und Hinweise aus der Bevölkerung.
Holz und Glas statt Plastik
Aus ihrer Küche verbannte König relativ schnell Plastik- und Tupperschüsseln, ohne diese wegzuwerfen. Statt Lebensmittel darin aufzubewahren, nutzte sie diese fortan als Behältnisse für Schrauben oder Knöpfe. In die Küche neu Einzug hielten nur noch Produkte aus Holz, Edelstahl, Porzellan oder Glas.
Im Alltag könne man häufig ohne großen Aufwand viele kleine Gewohnheiten umstellen: So niest König mittlerweile in Stofftaschentücher, statt einer Tüte trägt sie eine aus alten Vorhängen der Großmutter genähte Tasche mit sich herum, statt Frischhaltefolie nutzt sie Teller oder Topfdeckel zum Abdecken von Schälchen. Lebensmittel friert sie in Weckgläsern ein.
Verzicht als Freiheit, nicht als Entsagung
Relativ einfach fiel ihr die Umstellung im Bereich Kosmetik, da sie in diesem Bereich auf Natürlichkeit setzt. „Man muss nicht dauernd ein super Bild abgeben. Man darf graue Haare haben und so alt aussehen wie man ist“, findet sie. Statt über plastikfreie Alternativen nachzudenken, hat sie auf manche Produkte einfach verzichtet. Entsagung war dieser Verzicht für sie nie. „Vielmehr habe ich mich frei gefühlt.“
Entscheidend war für sie die Erkenntnis: „Ich muss nicht konsumieren, um glücklich zu sein.“ Wenn König heute kauft, achtet sie darauf langlebige, hochwertige Produkte zu erwerben. Da sie aber zugleich auf vieles in ihren Augen mittlerweile überflüssige verzichtet, komme sie dieser plastikreduzierte Lebensstil nicht viel teurer als vorher.
Selbst ist die Frau
In Folie eingewickelter Brokkoli ist für sie ebenso ein No-Go wie einzeln in Plastik verpackte Kräuterteebeutel. Vieles stellt sie selbst her: Chips beispielsweise oder als Gummibärchen-Ersatz Fruchtleder. In Sachen Zahnpasta hat sie schon mit Tonerde experimentiert, beim Shampoo versucht sie derzeit eine Mischung aus Roggenmehl, geschredderten, getrockneten Kastanien und Kaffeesatz. „Ganz optimal ist das noch nicht.“ Seltener, aber zwischendurch immer einmal wieder, greife sie noch auf herkömmliches Shampoo zurück.
„Keine Kompromisse mache ich bei Spül- und Waschmaschine“, erzählt sie. Alle bisherigen Experimente mit Ökopulver hätten einfach nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Überhaupt ist sie keinesfalls ein Hardliner in Sachen Plastikverzicht. „Ohne Perfektionismus ist das Leben leichter.“
Plastikfrei, kalorienbewusst und vegan – geht das?
Mit Reinigungsmitteln geht sie sparsamer um, kauft mitunter Putzsteine statt Scheuermilch, weil „das viel länger hält“. Chemie lasse sich in der Praxis oft durch längeres und intensiveres Schrubben ersetzen. Aber auch dort wird sie nicht zum Öko-Fanatiker. „Mein Ziel ist es einfach, so umweltfreundlich wie möglich zu leben.“
Schwierig wurde Königs plastikreduziertes Leben erst, als sie darüber hinaus versuchte Diät zu halten. „Fettreduzierte Milch und Magerquark gibt es eben nicht direkt beim Bauern.“ Letztlich entschied sich König, die sich auch nach und nach immer mehr für eine vegane Lebensweise erwärmte, für Pflanzenmilch, die sie selbst aus Haselnüssen herstellt. Letztlich, sagt sie, gehe es nicht um alles oder nichts. Das Leben bestehe aus Grautönen.
Auch wenn sie hofft, mit ihrem Lebensstil andere zu inspirieren, als Moralapostel will sie keinesfalls auftreten: „Ich urteile nicht über andere. Ich bin nur für mich verantwortlich.“