„Ich hab in'n Spiegel gschaut und gwusst: I muaß des jetzt machn.“ So kam es, dass der Rödleser Herbert Waibl am 13. April seinen ersten Schritt auf dem Jakobsweg tat und genau vier Monate später, am 13. August, nach 2860 gepilgerten Kilometern sein Ziel erreichte: Santiago de Compostela.
Schon vor einigen Jahren hatte sich der frühere Kunstlehrer am Bad Neustädter Rhön-Gymnasium durch Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ inspirieren lassen und in den Sommerferien verschiedene Etappen erlebt, mal in Frankreich, mal in Portugal, mal entlang der Küste. Seinem Traum, den Jakobsweg am Stück zu gehen, brachte ihn dann die Pensionierung näher. Endlich bot sich ausreichend Zeit – und der noch nicht Mittsechziger griff zu.
Er wollte es wieder spüren, dieses unglaublich schöne Gefühl, das er in die Worte „Pilgern ist geil“ kleidet und dem er unterwegs etliche Verse und sogar einen Pilgersong widmete. „Einfach gehen. Das Herz ist offen. Die Liebe fließt. Lebendig sein“ gehört zu den vielschichtigen Empfindungen, die nach Waibls Erfahrung ein Leuchten in die Augen zaubern. „Einfach gehen. Allein. Den eigenen Impulsen folgend. Frei sein“ hat er ebenso notiert wie „Einfach gehen. Sich begegnen. Teilen. Verbunden sein“.
Im Rückblick sprudeln aus ihm herrliche Geschichten heraus, die er unterwegs erlebt hat. Viele Menschen tauchen da wieder auf, zum Beispiel Klaus aus Konstanz, der irgendwo seinen zerknüllten Hut hat liegen lassen und sich einige Abende später in der Herberge freute, dass seine Kopfbedeckung dort schon auf ihn wartete. Oder der Pater, der Waibl beim morgendlichen Aufbruch in einem deutschen Quartier den Reisesegen spendete, der ihn tief im Innern erreichte und ihn begleitete.
So intensiv wie auf dem Jakobsweg hatte der Pilger aus Rödles noch nie erleben können, mit welcher Schönheit sich das Frühjahr entfaltet, wie viel Nässe drei Regentage hintereinander in der Schweiz mit sich bringen und wie hilflos man sich fühlt, wenn man sich verlaufen hat. Da tut es gut, wenn man aufgelesen wird. Der Aufenthalt im Baustellenfahrzeug endete allerdings schneller als erwartet. Denn plötzlich entdeckte der Passagier die Pilger-Markierung, schrie „Stopp“ und durfte dem Ruf zurück auf den Weg folgen.
Seine Route führte ihn übrigens über die deutschen Stationen Würzburg, Ulm und Konstanz nach Einsiedeln und Genf in der Schweiz und zu den französischen Orten Le Puy-en-Velay und St. Jean-Pied-de-Port. In Spanien ging es dann auf dem Camino Frances bis nach Santiago de Compostela.
Meist genoss es Herbert Waibl, mit seinen Gedanken und seinem „inneren Prozessor“ allein zu sein. Aber einige Tagestouren verbrachte er auch in Gesellschaft, teils geplant, teils zugeflossen. Für solche Gemeinschaftsaugenblicke war es von besonderem Wert, dass er 1,3 Kilo Gepäck mehr bei sich hatte als unbedingt erforderlich. Seine Reisegitarre griff die Empfindungen auf, unterlegte aber auch die Party zu Waibls Geburtstag mit den Songs der Beatles. Unvergessen blieb eine ganz andere Instrumentalbegegnung: die Klangmassage durch ein Didgeridoo, die Waibl unverhofft in Spanien bekam.
Kaum glauben konnte der Individualpilger aus dem Besengau, dass er sich in Santiago de Compostela zitiert sah. „Pilgern ist geil. Herbert“ war da auf dem Boden zu lesen, geschrieben von irgendjemandem, der diese Auffassung offensichtlich teilte. „All die schönen Erlebnisse haben einen einzigen Nachteil: Man muss laufen, wenn man sie erleben will“, erinnert sich Waibl auch daran, dass es nach mehr als 2500 Kilometern gegen Ende immer schwerer wurde, die Füße voreinander zu setzen und das Tagespensum von 20 bis 25 Kilometern zu absolvieren. Trotzdem würde er sich wünschen, dass der Funke seiner Pilger-Begeisterung auf möglichst viele Menschen überspringt.