Was für ein traumverlorenes Bühnenbild! Da möchte man am liebsten mit Wendy und John sternenbestäubt durchs offene Fenster hinaus in den Nachthimmel fliegen und Peter Pan nach Nimmerland folgen, dorthin, wo die verlorenen Jungs leben und Käpt'n Hook seit Jahr und Tag sein Unwesen treibt.
Traumverloren beginnt das diesjährige Weihnachtsmärchen des Meininger Theaters, „Peter Pan“, in der Inszenierung von Christian Claas, mit fantastischen Bühnen- und Kostümbildern von Christian Rinke. Nur das Krokodil mit der Gitarre erinnert ein bisschen zu sehr an Peter Tabaluga Maffay. Aber davon abgesehen könnte man vermuten, dass diese Kulissen eine ideale Vorlage für eine ungeheuer spielerische Fantasiereise sind. Tiefgründig für jene, die hinter die Fassaden der Charaktere blicken wollen, unterhaltsam für die, denen ein bisschen Oberflächenspannung genügt. Letztere finden wir in dem Abenteuermärchen von Christian Claas allemal.
Zusammen mit dem musikalischen Leiter der Inszenierung, Thomas Kässens, hat er ein actionreiches Kindermusical geschaffen, sogar mit Theaterbuch und Hör-CD für die jungen Zuschauer. Und James M. Barries Fantasiewesen springen, singen, fliegen, tanzen und purzeln tatsächlich nonstop durchs Nimmerland, als gäbe es nichts Schöneres für sie, als ohne Unterlass zu springen, zu singen, zu fliegen, zu tanzen und zu purzeln.
Der große Meister ist natürlich Peter Pan, der Junge, der nie erwachsen werden will. Mit Vivian Frey ist der ewig junge Spring-ins-Feld ideal besetzt. Sowas an frisch-fromm-freyer Beweglichkeit war selten in Meininger Weihnachtsmärchen zu sehen. Da können Mara Amrita (als Wendy) und Phillip Henry Brehl (als John) nicht anders als mitzufliegen und an Peter Pans Seite über die wilde Welt zu staunen, über die rundum blinkende Fee Tinkerbell (Alexandra Riemann), über den furchterregenden Käpt'n Hook (Renatus Scheibe), seine Spießgesellen und sein Piratenschiff. Sie können staunen, bevor (oder weil?) sie am Ende wieder im geborgenen Schoß der Familie landen. Peter Pan verschwindet hingegen sogleich aus dem zivilisierten Leben und singt sein Lied von der ewigen Jugend: „Ich bin jung! Ich bin frei! Ich bin ich!“ (Fehlte nur noch, dass er mit einem antiken Smartphone ein Selfie-Foto machen würde.)
Ob Peter Pan mit seinem Leben wirklich glücklich ist, das verrät Claas' Sicht der Dinge nicht. Als hyperaktiver Wachstumsverweigerer durch die Welt zu ziehen, ist nicht gerade ein Zuckerschlecken. Und dann die Frage: Wer schützt uns denn vor den ewigen Kindsköpfen, die im fortgeschrittenen jugendlichen Alter ziemlich holzköpfig werden können? Eine Frage, die sich diese Inszenierung nicht stellt. In jene tiefenpsychologischen Abgründe des ewigen Kindseins will Christian Claas nicht vordringen. Schließlich geht es um eine Vorweihnachtsbespaßung. Also, Kindsein: „Prima!“ Erwachsensein: „Buh!“
Fast in jeder der vollgepackten und lautstarken Szenen ist die latente Angst der Macher vor Stille, vor Ruhe, vor Langsamkeit, vor Doppelbödigkeit zu spüren, die Sorge also, die Kinder im Zuschauerraum nicht bei der Stange halten zu können - eineinhalb Stunden mit einer Pause (die nicht nötig gewesen wäre, hätte man sich zehn Minuten Handlung erspart).
Die Kinder werden nicht unruhig. Dafür gibt es viel zu viele Reize. Das junge Publikum erklatscht am Ende sogar zwei Zugaben. Mission Unterhaltung erfüllt. Schließlich wird die Geschichte mit Pep erzählt. Aber das Traumverlorene und Hintergründige, das die Bühnenbilder suggerieren, bleibt auf der Strecke. Bei massentauglichen Inszenierungen für Kinder spielt das wohl eh eine untergeordnete Rolle.
Vorstellungen im Großen Haus noch bis 26. Dezember. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 45 12 22 oder -45 11 37; oder im Internet: www.das-meininger-theater.de