Was für eine schöne neue Welt! Alles ist Event. Alles ist Ware. Alles hat das Potential zum hippen Lebensstil derer zu gehören, die glauben, sie seien die Zukunft. Nyotaimori, zum Beispiel, das Verspeisen von Sushi vom nackten Körper einer Geisha, war einst als Belohnung für tapfere Samurai gedacht. Inzwischen gibt es das Ereignis als erotisches Bodysushi auf Junggesellenpartys und Betriebsfeiern. Gespeist wird häufig ohne Zuhilfenahme der Hände.
Die frankokanadische Autorin Sarah Berthiaume (37) hat die Ungeheuerlichkeiten der Auswüchse kapitalistischer Gier und menschlicher Gelüste in einer globalisierten Arbeits- und Konsumwelt zum Thema ihres 2018 uraufgeführten Theaterstücks „Nyotaimori“ gemacht.
Regisseurin Mia Constantine, Bühnenbildnerin Romy Rexheuser und Kostümbildnerin Katharina Quandt schaffen nun in den Meininger Kammerspielen einen abstrakten Raum aus vielerlei Kartons und Paletten, in den gleichermaßen ein Amazonversandlager, ein Creative Office, eine indische Textilfabrik, ein Autohaus in Texas, eine Fließbandhalle in einem Toyotawerk, eine Parkgarage oder der Büro- und Wohnraum einer Journalistin hierzulande hineingedacht werden kann.
Ein bisschen zu viel?
Ein bisschen zu viel? In der Tat. Gut gemeint von der Autorin, die zeigen möchte, wie alles mit allem zusammenhängt. Wie der Wohlstand hier auf der Ausbeutung dort beruht. Wie die Menschen sich diesen Zwängen anpassen, um zu überleben oder um up-to-date zu sein. Ein einziges Hetzen aus Gier und Geltungssucht da, aus Armut und Verzweiflung dort.
Das wird von den drei Darstellern Evelyn Fuchs, Nora Hickler und Sven Zinkan mit sehr viel Gespür für die Widersprüchlichkeit ihrer Figuren und für ironische Brechungen des Geschehens in Szene gesetzt.
Einem Journalisten kommen gerade die professionellen Verstrickungen der freien Journalistin Maude (Evelyn Fuchs) bekannt vor: Wie man sich, um materiell zu überleben, immer tiefer in einem Geflecht aus Neugierde, Eitelkeit, Erwartungsdruck und Überforderung verliert, das kein verlässliches Privatleben mehr zulässt.
Teils makabre Spielszenen
Die Perversionen, die Konsumrausch, die grenzenlose Ausbeutung der Arbeitskraft in Billiglohnstaaten oder in Ländern mit rigider Arbeitsdisziplin mit sich bringen, die Perversionen werden in teils makabren Spielszenen klar und deutlich.
Wenn etwa eine indische Näherin (Nora Hickler) unter unsäglichen Bedingungen Empower-Bras für den Weltmarkt fertig. Oder Hideaki Komatsu (Sven Zinkan), berufsmäßiger Autostreichler bei Toyota, mit seinen vierfingrigen Comicfigurenhänden zärtlich über die Oberflächen der Yaris-Modelle auf dem Fließband streicht, dann ermöglicht das kleine Erleuchtungen des Irrsinns.
Nur: Die aufklärerische Überhäufung solcher in sich stimmigen realsatirischen Szenen hat einen Nachteil. Sie soll dem Zweck einer Erkenntnis, die vom Kopf her schon lange präsent ist, dienen: der Erkenntnis der globalen Vernetzung von Produktion, Konsum und Ausbeutung. Um eine solche Erkenntnis nicht nur im Hirn, sondern auch im Herzen zu verankern, braucht es mehr als eine geschickte dramaturgische Vernetzung fantastisch-absurder Spielszenen. Es braucht eine Geschichte.
Nächste Vorstellungen: 29. Februar, 7. und 27. März, jeweils 19.30 Uhr: Kartentelefon (03693) 451222.