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MÜHLFELD
Noch 30 Tote in den letzten Kriegstagen in Mühlfeld
Aufgebahrt: Die Toten eines verheerenden Bombenangriffs auf die Bahnlinie bei Mühlfeld gegen Kriegsende wurden im Inneren der Kirche aufgebahrt, bevor sie in einem Massengrab bestattet wurde
Foto: R. Albert | Aufgebahrt: Die Toten eines verheerenden Bombenangriffs auf die Bahnlinie bei Mühlfeld gegen Kriegsende wurden im Inneren der Kirche aufgebahrt, bevor sie in einem Massengrab bestattet wurde
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 |  aktualisiert: 08.05.2015 12:20 Uhr

Die Familie Klein aus Mühlfeld stellte 2001 für die Gemeindechronik ein Schulheft zur Verfügung. Darin haben verschiedene Autoren das Wichtigste aus den Kriegsjahren 1942 bis 1945 verzeichnet – offensichtlich haben die Aufzeichnungen die jeweiligen Lehrkräfte geführt. Nachfolgend in Auszügen die Aufzeichnungen daraus aus den letzten Kriegsmonaten.

• 17. Februar 1945: Heute gegen 13 Uhr überflogen drei feindliche Tiefflieger unseren Ort. Zur gleichen Zeit fuhr eine Lokomotive über die Bahnunterführung am Gasthaus „Zum Grünen Baum“. Einer der Flieger entdeckte die Maschine und stürzte sich kurz entschlossen auf die leichte Beute. In seiner Wut war er aber zu unvorsichtig. Es gelang ihm zwar noch einen kurzen Feuerstoß aus den Bordwaffen, aber es gelang ihm scheinbar nicht mehr, das Steuer herumzureißen. Mit voller Geschwindigkeit schlug er auf der Straße, die nach Roßrieth führt, auf. Es entstand ein weithin hörbarer Krach, und dann sah man die aus dem Öl- und Benzinbehältern aufsteigenden Flammen. Maschine und Pilot lagen in tausend Teile zerrissen verstreut auf der Straße. Der Volkssturm übernahm statt des Dienstes in Mellrichstadt die Bewachung der Flugzeug- und Leichenreste. Leider forderte der kurze Angriff des Fliegers auch von der Mühlfelder Bevölkerung ein schweres Opfer: Antonie Fritz, die Wirtin zum „Grünen Baum“, wurde durch den Bordwaffenbeschuss tödlich verletzt. In der Sorge um ihren Mann, der mit einem Fuhrwerk unterwegs war, betrat sie die Gasthaustreppe, um Ausschau zu halten. Da ereilte sie der Tod. Der Pilot wurde in der linken oberen Ecke des Friedhofs ohne Beteiligung der Kirche beigesetzt; sein Sarg wurde im Dezember 1945 von Amerikanern ausgegraben und nach Nürnberg überführt.

• 20. Februar 1945: Heute fand die Beerdigung der durch Bordwaffenbeschuss gefallenen Frau Fritz statt. Die Beteiligung der Bevölkerung war außerordentlich hoch.

• 12. März 1945: Feind im Gaugebiet! Schule bis auf weiteres geschlossen.

• 25. März 1945: Familie Weigand erhielt Nachricht, dass ihr Sohn bei der Marine gefallen ist.

• 31. März 1945: Um 7.30 Uhr wurde die Bevölkerung durch das Bersten mehrerer Bomben aufgeschreckt. Feindliche Bomber sind im Angriff auf einen am Bahnhof haltenden Personenzug. Es handelt sich um acht Jagdbomber. Ihr Rauschen scheucht die Menschen in die Keller. Dazwischen hämmern die Bordwaffen. Die Häuser beben. Bei einem Blick über die Straße sehe ich ins Dorf flüchtende Soldaten und Reisende. Ein schwerverwundeter Soldat schleppt sich ins Haus Klein. Immer noch kreisen und schießen die Flieger. Der Angriff dauert etwa 20 Minuten. Die Folgen sind ganz furchtbar. Eine Bombe war direkt auf die Schienen gefallen und hatte dabei einen mit Militär voll besetzten Personenwagen vollkommen zerstört. Unter seinen Trümmern wurden 15 Tote geborgen. Weitere zwölf tote Soldaten lagen durch Bordwaffen getroffen auf dem Bahnhofsgelände und in den benachbarten Wiesen. Die Frau eines Lehrers, der sich mit einunddreißig Knaben im Zuge befand, wurde ebenfalls tödlich getroffen. Getötet wurde aber auch zumindest ein russischer Zwangsarbeiter, der auf der Bahnstrecke arbeitete. Über 50 meist schwerverletzte Soldaten wurden im Schulsaal von einem zufällig anwesenden Unterarzt behandelt. Am gleichen Tag ist dort noch ein Soldat gestorben. Am Nachmittag wurden die meisten Schwerverwundeten ins Lazarett nach Mellrichstadt gebracht. Das Lastauto wurde unterwegs wiederum von Tieffliegern angegriffen, wobei erneut zwei Soldaten getötet und fünf verletzt wurden. Eine Werkstattlokomotive versuchte, den Zug abzuschleppen.

Wieder erschienen die Jagdbomber und warfen ihre todbringende Last. Auch die zweite Lokomotive wurde fahrtunfähig geschossen. Zum Glück fielen die meisten Bomben ins Wiesengelände in der Nähe der Mühle nieder. Während die Vormittagskatastrophe in der Mühle nur Fenster- und erhebliche Dachschäden verursachte, traf am Nachmittag eine Bombe schweren Kalibers den Keller der Mühle. Diesmal waren die Gebäudeschäden sehr bedeutend. Auch Scheunen und Häuser in der Nähe der Mühle wurden stark beschädigt. Während dieses zweiten Angriffes lagen Reih und Glied neben dem zerstörten Zug ein Kompanieführer mit 27 Mann und eine tote Frau. Schauerlicher Anblick! Im Lazarett zu Neustadt sind weitere sieben Soldaten gestorben, so dass insgesamt 40 Opfer zu beklagen sind.

Ergänzend zu diesen Eintragungen bemerkte der Ortspfarrer: „Die Gefallenen, zum Teil zerfetzt, wurden über Ostern in der Kirche aufgebahrt und am zweiten Ostertag, dem 2. April, in einem Massengrab auf dem Friedhof beigesetzt: 14 in Särge, die übrigen in Zeltbahnen. Das Grab ist angelegt und mit einem Kreuz versehen. Es wurde von den Schulmädchen instand gehalten. Zur Erinnerung an diesen 31. März wird in Verbindung mit dem Gedenken an die Gefallenen der Gemeinde jährlich ein Gedächtnisgottesdienst gehalten; es ist zu hoffen, dass diese Übung von den Amtsnachfolgern beibehalten wird.

• 1. April 1945: Ostern! Der Ort ist mit Fremden überfüllt, die nicht weiterreisen können, da die Bahnlinie unterbrochen ist. Auf dem Friedhof wird ein Massengrab aufgeworfen.

• 2. April 1945: Die Toten sind in der Kirche gelagert. Es sind nur zwölf Särge geliefert, da Fliegertätigkeit die weitere Anfahrt von Mellrichstadt unmöglich macht. Gegen 7 Uhr abends findet die Beerdigung der Fliegeropfer statt. Man wählt die späte Stunde, weil man hofft, von Fliegern ungestört zu bleiben. Die Toten werden, in Decken gehüllt, einzeln zum Friedhof getragen. Viele mögen nicht mithelfen, da sie den Anblick nicht ertragen können. Kurz vor der Beerdigung hört man in unmittelbarer Nähe den ersten Artilleriebeschuss. Der Einschlag liegt in Mellrichstadt. In Abständen von zehn bis zwanzig Minuten folgen nun die Schüsse und Einschläge. Die Glocken werden nicht geläutet, um den Gegner nicht auf den Ort aufmerksam zu machen. Dicht nebeneinander und zum Teil übereinander liegen die Toten, als der Pfarrer ihnen die letzten Worte nachruft. 32 Tote liegen im gemeinsamen Grab. Für die getötete Frau war ein Einzelgrab hergerichtet worden.

Ein Vertreter der Wehrmacht spricht zu den Gefallenen, und dann verlassen die aufgeregten Menschen schnell den Friedhof, weil das Artillerieschießen nicht aufhören will. Einige ganz ängstliche Mühlfelder haben bereits weiße Tücher aus ihren Fenstern hängen, und vor dem alten Schulhaus setzt ein regelrechter Streit darüber ein, ob man auf der Kirche die weiße Flagge aufziehen solle. Gegen den Protest des Bürgermeisters wird tatsächlich eine weiße Fahne ausgesteckt. Am Morgen ist sie wieder eingezogen.

• 4. April 1945: Während des ganzen Tages kommen einzeln und in kleinen Trupps Soldaten durch. Sie wollen teils zur Front, teils nach Hause. Einige sind in Zivil und andere haben keine Waffen mehr. In entfernteren Orten hört man Tiefflieger in Tätigkeit. Alle nur denkbaren Gerüchte laufen um.

• 6. April 1945: Die Bevölkerung erwartet täglich den Einmarsch der Amerikaner. Es fällt den deutschen Soldaten schwer, noch ein Unterkommen im Dorf zu finden, da man fürchtet, der Ort könnte unter Beschuss genommen werden, wenn Soldaten anwesend sind. Ein Wachtmeister mit vier Mann bezieht erst bei Braungart, dann im Schulsaal Quartier. Sie sind mit Karabinern und Panzerfaust bewaffnet. Sie erklären, dass Mühlfeld verteidigt wird.

• 7. April 1945: Um die Mittagszeit ist plötzlich starkes Motorengeräusch zu hören und plötzlich tauchen zwischen Kirche und altem Schulhaus amerikanische gepanzerte Spähwagen auf. Sie halten lange, ohne sich an jemanden zu stören und drehen dann auf Mellrichstadt ab. Dann folgt aber Wagen auf Wagen. Es reißt den ganzen Tag nicht mehr ab. Teilweise fahren sie in Richtung Schwickershausen, teilweise nach Roßrieth weiter. Am Abend wird bekannt gegeben, dass wir nunmehr besetztes Gebiet seien, dass die Bevölkerung bei Anbruch der Dunkelheit im Hause sein müsse, und dass am nächsten Donnerstag alle Waffen abzuliefern seien.

• 8. April 1945: Die Waffen, Jagdgewehre usw., werden abgeliefert und von den Amerikanern vernichtet. Immer noch fahren Panzer durch. Während der Nacht sind die letzten deutschen Soldaten geflüchtet. In der Schule liegen Karabiner und Panzerfäuste und alle möglichen Ausrüstungsgegenstände.

• 10. April 1945: Panzer mit aufgesessener Infanterie fahren durch. In den Wäldern sind noch immer deutsche Soldaten.

• 11. April 1945: Eine große Panzerkolonne fährt durch. Ununterbrochen auch während der Nacht folgen Panzer auf Panzer. Das Haus der Schmiede ist um ein Haar von einem Panzer umgerissen worden. Die Straße von Eußenhausen ist für Fuhrwerke kaum noch zu befahren. Viele Neger sind durchgekommen. Alle benahmen sich sehr anständig, wenn auch einige kleine Zwischenfälle vorkamen.

• 15. April 1945: Wir haben keine Besatzung. Die Bauern arbeiten auf dem Felde. Die Eisenbahn wird noch lange nicht verkehren. Die Kassen sind geschlossen. Die Verpflegung geht kartenmäßig und geordnet weiter. Gerüchte!

• 17. April 1945: Viele Polen und Russen sind schon von ihren Bauern weggegangen, um in einem Lager in Mellrichstadt zu wohnen. Einige wollen nun „Herren“ sein. In den Knopflöchern tragen sie Bänder in amerikanischen Farben.

• 19. April 1945: Fast täglich ziehen Leute nach dem Westen, um in die Heimat zu kommen. Die Hauptstraßen dürfen nicht benutzt werden. Es gibt auch in Mühlfeld immer etwas zu sehen.

• 30. April 1945: Versammlung im Gemeindehause: Die Ernährung im Kreise voraussichtlich gesichert. Ablieferungspflicht nach wie vor.

• 2. Mai 1945: Man hört keinen deutschen Sender mehr. Adolf Hitler ist tot. Was wird aus uns?

 
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