Der Himmel grau in grau, böiger Wind und anhaltender Nieselregen – das Rhöner Wetter zeigte sich von seiner unwirtlichen Seite, als Werner Wahmhoff dem ehemaligen Standortübungsplatz der Bundeswehr zwischen Oberstreu und Frickenhausen einen Besuch abstattete. Panzer fahren hier schon lange nicht mehr, das Gelände ist seit 2010 Naturerbe-Fläche der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Nur noch wenige Spuren zeugen von der bewegten Vergangenheit des rund 200 Hektar großen Areals, auf dem über 40 Jahre lang die Panzergrenadiere des Bataillons 352 aus der Hainberg-Kaserne ihre Wehrbereitschaft übten. Dafür hat sich die Natur umso prächtiger entfaltet.
Werner Wahmhoff hat die Entwicklung der Fläche von der einstigen Übungsstrecke für Infanterie, Panzer und Geländewagen bis hin zum Naturparadies für seltene und bedrohte Tierarten von Anfang an begleitet. Kurz vor seinem Ruhestand nahm der DBU-Funktionär das ehemalige Bundeswehrgelände noch einmal unter die Lupe. Und freute sich über den ökologisch attraktiven Lebensraum, der knapp 13 Jahre nach Abzug der Truppe zahlreichen Insektenarten, Vögeln und Kleintieren ein Refugium bietet.
Ideale Lebensräume für seltene Arten
Der Natur- und Tierfreund wurde bei seiner Stippvisite von Christian Stoewer und Frank Haßlinger begleitet. Sie haben im Auftrag der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Sparte Bundesforst, ein Auge auf die Wald- und Naturflächen zwischen Mellrichstadt, Frickenhausen und Oberstreu. Sie sorgen dafür, dass die halboffene Landschaft, wie sie schon vor gut 150 Jahren das Bild vor Ort prägte, erhalten bleibt. Mit dem Prädikat besonders wertvoll – denn hier finden seltene Insekten- und Vogelarten, die anderswo kaum Chancen haben, ideale Lebensräume. "Vogelarten, die auf der roten Liste stehen, wie Neuntöter, Baumpieper, Heidelerche und Grauammer, brauchen Bäume, Büsche und offenes Land", macht Werner Wahmhoff deutlich. "Und genau das gibt es hier."
Durch die jahrzehntelange militärische Nutzung sind auf dem freien Gelände, das heute DBU Naturerbe Mellrichstadt heißt, kaum Bäume und Gehölze gewachsen, vielmehr haben sich offene Landschaften wie Magerrasen und Wacholderheiden hervorragend entwickelt. Diese Flächen werden entsprechend gepflegt, sagt Forstrevierleiter Frank Haßlinger, der das Areal seit 20 Jahren betreut und wie seine Westentasche kennt. Denn sonst würde sich der Wald durch Naturverjüngung ausbreiten, und die spezialisierten Arten würden ihren Lebensraum verlieren.
Beim Mähen bleiben Stängel stehen
Ein Landwirt aus Oberstreu mäht in Absprache mit dem Bundesforst frei befahrbare Flächen, wenngleich hierbei Umsicht geboten ist: Teilbereiche werden ausgespart, so dass sich Larven von Schmetterlingen zur Verpuppung an den Pflanzenstängeln festheften können. Ziegen leisten zur Umweltpflege ebenfalls einen Beitrag: Sie dürfen auf nicht zugänglichem Gelände weiden, um die Verbuschung zurückzudrängen. Der Landschaftpflegeverband Rhön-Grabfeld entfernt zudem kleine Büsche und Gras an den Randbereichen. Mit dem Landschaftspflegeverband wie auch der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt arbeite man bestens zusammen, lobt Frank Haßlinger. Im Zuge der Maßnahmen kommt Europa nach Mellrichstadt, denn für diese Pflegearbeiten können EU-Gelder abgerufen werden.
Die Buchenwälder auf dem Gelände werden sich selbst überlassen, informiert Forstbetriebsleiter Christian Stoewer. Das gilt auch für den Teil des Waldes, der in der Kernzone des Biosphärenreservats Rhön liegt. Nadelhölzer hingegen werden nach und nach entfernt, damit sich auf der ganzen Fläche ein naturnaher Wald mit heimischen Baumarten entwickeln kann.
Unterschlupf für seltene Tiere
Alte Bauten aus Bundeswehrzeiten sind längst verschwunden, etwa das Pumphaus an der Panzerwaschanlage oder Gebäude, die zu Übungszwecken dienten. "Die Altlasten sind entsorgt, was noch steht, soll Tieren als Unterschlupf dienen", sagt Werner Wahmhoff. Im Gegensatz zur seltenen Geburtshelferkröte, die das Feuchtbiotop im Panzerwaschbecken als Laichplatz nutzt, muss die Mopsfledermaus das erst noch herausfinden. Für diese Art wurde eigens ein Bunker zum Fledermaushotel umfunktioniert. Doch das Winterquartier ist zum Leidwesen der Naturfreunde bislang unbenutzt geblieben. Frank Haßlinger weiß: "Beim Natur- und beim Tierschutz muss man einfach viel Geduld haben."
Die Naturerbe-Fläche Mellrichstadt beinhaltet etwa 125 Hektar Wald sowie 90 Hektar Offenland. Rund 500 Pflanzenarten kommen hier vor. Besonderheiten sind kleine Streuobstbestände mit alten heimischen Sorten und der Orchideen-Buchenwald, in dem heimische Orchideen bestens gedeihen. Die ehemaligen Panzerspuren sind heute Biotope, die Schützengräben hat sich die Natur bereits zurückgeholt. Das einstige Militärgebiet ist ein Naturparadies geworden, das auch Wanderer unbeschwert genießen können. Die Liegenschaften sind offen zugänglich, die Bundesforstmitarbeiter sorgen für Verkehrssicherheit auf den Wegen.
Alles richtig gemacht?
Die DBU hat, nachdem sie das Areal im Jahr 2010 vom Bund übernommen hat, einen hohen Aufwand betrieben, um das Gelände mitsamt Biotopen zu kartieren sowie die ansässige Tierwelt, vor allem die Vielfalt an Insekten, zu erfassen, sagt Werner Wahmhoff. So hat sich ein Bild von der Biodiversität auf der Fläche ergeben, das nach 20 Jahren, also im Jahr 2030, überprüft werden soll. "Dann sehen wir, ob wir hier alles richtig machen", blickt der langjährige Abteilungsleiter für Umweltforschung und Naturschutz nach vorne. Bei seinem Abschiedsbesuch ist er mit dem bislang Erreichten hochzufrieden. "Von den ersten Verhandlungen, die ich hier miterlebt habe, bis heute hat sich eine tolle Entwicklung vollzogen. Die gilt es nun weiterzuführen."