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MEININGEN
Nackter Wahnsinn mit Methode
Hier geht es drunter und drüber: In der Aufführung „Der nackte Wahnsinn“ am Meininger Theater wird das Publikum Zeuge des chaotischen und tragikomischen Lebens einer Gastspieltruppe unter Führung eines hochneurotischen Regisseurs. Jede Menge irrwitzige Momente inklusive.
Foto: Foto-Ed | Hier geht es drunter und drüber: In der Aufführung „Der nackte Wahnsinn“ am Meininger Theater wird das Publikum Zeuge des chaotischen und tragikomischen Lebens einer Gastspieltruppe unter Führung eines ...
Von unserem Mitarbeiter Siggi Seuss
 |  aktualisiert: 07.11.2019 19:13 Uhr

Dass die meisten Menschen im Umkreis des Meininger Theaters am 10. November 1989 mit dem Wahnsinn, der sie umgab, vollauf beschäftigt waren, versteht sich von selbst. Deshalb saßen damals zur Premiere von Albert R. Paschs Inszenierung der Erfolgskomödie „Der nackte Wahnsinn“ des Briten Michael Frayn gerade mal 250 meist ältere Theaterfreunde im Saal. Die Stimmung war entsprechend moderat, trotz Thielmann, Jeske & Co. Nach der zehnten Vorstellung war Feierabend und das Meininger Theater widmete sich in wildbewegter Zeit anderen Stoffen, um den Leuten zu zeigen: „Hallo, wir sind auch noch da. Zur Freude und zur Erhebung.“

Nun, im November 2013, ist das Große Haus selbstverständlich bis auf den vorletzten Platz besetzt beim zweiten Versuch, mit dem „Nackten Wahnsinn“ die Theatermäuse hinterm Ofen hervorzulocken. Inszeniert hat der neue Oberspielleiter Lars Wernecke („Cabaret“, „Ein Volksfeind“), Bühne und Kostüme im Stil „Britisches Landhaus“ stammen – wie damals – von Helge Ullmann. Altmeister Pasch sitzt schmunzelnd im Publikum und harrt der Dinge, die da kommen. Und sie kommen. Sekunde für Sekunde. Türschlag auf Türschlag. Gag auf Gag. Zweidreiviertel Stunden am laufenden Band. Eine Pause nach zwei Stunden Spiel.

Nun könnte man meinen: „Das ist doch viel zu lang für eine Komödie! Nach hundert Minuten müsste doch alles gesagt sein.“ – Ja und nein. Das ist gleichzeitig das Geniale und die Crux an dieser gnadenlos perfekt ausgetüftelten Parodie aufs Boulevardtheater. Schon bei einer pfiffig inszenierten Farce, in der die Handlung wie ein Uhrwerk funktioniert, könnte man ins Staunen geraten. Wie verrückt muss es dann erst auf der Bühne zugehen, wenn die Zuschauer nicht nur eine Farce sehen, sondern zwei in einer – und die dazu noch in drei Varianten.

Neurosen und Ticks

Wir werden Zeugen des chaotischen und tragikomischen Lebens einer Gastspieltruppe unter Führung eines hochneurotischen Regisseurs. Im Lauf der Geschichte stellt sich allerdings heraus, dass alle Beteiligten ganz individuelle Neurosen und Ticks pflegen. Wir sehen die Generalprobe eines Nonsensestückes, bei der es drunter und drüber geht. Wir verfolgen mit einer Mischung aus Staunen und Grausen die Premiere dieses Stückes – und zwar aus einer Perspektive, die uns ansonsten verborgen bleibt: von hinter den Kulissen. Und wir sehen am Ende das Ganze noch einmal von vorn – ein paar Vorstellungen später, als die Inszenierung gänzlich aus der Fassung gerät.

Liebeserklärung ans Theater

Im Grunde ist Frayns Stück ein komplexes Komödien-Uhrwerk, das sich gleichermaßen als Parodie aufs Boulevardtheater und als Hymne an die Kunst der Improvisation versteht. Zudem ist „Der nackte Wahnsinn“ eine Liebeserklärung ans Theater und an die, die es immer wieder lebendig werden lassen, egal wie es hinter den Kulissen und hinter den Fassaden der Menschen aussieht.

Die Schauspieler stehen in diesem Stück von der ersten bis zur letzten Sekunde unter Strom. Wer immer noch nicht glaubt, wie schwer es ist, das Leichte glaubwürdig leicht zu inszenieren und dabei auch noch die Improvisation zu improvisieren, der kann es auf der Bühne des Meininger Theaters leibhaftig erleben. Deshalb gilt das uneingeschränkte Lob dem Ensemble um Harald Schröpfer (als Regisseur Lloyd Dallas): Ulrike Walther (Dotti), Vivian Frey (Garry), Alexandra Riemann (Brooke), Ingo Brosch (Frederick), Evelyn Fuchs (Belinda), Reinhard Bock (Selsdon), Anne Rieckhof (Regieassistentin) und Renatus Scheibe (Inspizient), der sich bei der Premiere hoffentlich nicht zu arg am Fuß verletzt hat.

Trotz des enormen Spieltempos, trotz der haarsträubenden Gagdichte, trotz des Riesenbeifalls am Ende: Ein paar Phasen der Ermattung, bereits während des ersten Aktes, bleiben beim Rezensenten nicht aus. Irgendetwas ist zu lang. Und da am Stück schwerlich etwas zu kürzen ist, ohne den Verlust des roten Fadens zu riskieren, bleibt festzustellen: Der Autor hat das Stück im Stück im Eifer des Genusses einfach zu lang gestreckt. Das wird dem Erfolg der Meininger Inszenierung allerdings nicht im Weg stehen. Und Albert R. Pasch kann beruhigt nach Hause gehen, 24 Jahre nach dem ersten Wahnsinn.

Nächste Vorstellungen: 27. November, 6. und 14. Dezember, 13. Februar, jeweils um 19.30 Uhr. Karten unter Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de

 
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