
Mit dem Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy hat die Evangelische Kantorei einen weiteren Meilenstein in ihrer Geschichte gesetzt. Kantorin Karin Riegler gelang es auch in diesem Riesenwerk aus den Sängerinnen und Sängern des Chores alles herauszuholen. Wohlgemerkt in einem extrem langen und anstrengenden Werk der Kirchenmusikliteratur. Mit mehr als zwei Stunden Gesamtdauer und nur einer klitzekleinen Unterbrechung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil war dieser Paulus eine Herausforderung für den Chor und seine Leiterin, für das Meininger Residenzorchester, für die Solisten und letztlich auch für das erwartungsvolle Publikum in der sehr gut besuchten Christuskirche.
Eines muss man Kirchenmusikdirektorin Karin Riegler lassen. Sie hat nicht nur den Mut die ganz großen Werke der Musikliteratur auf die mobile Bühne der Christuskirche zu bringen, sie hat auch das Vermögen, mehr als 60 Stimmen sowie ein Orchester und drei Solisten auf die Minute genau vorzubereiten. Monatelang hat sich die Evangelische Kantorei auf das Oratorium „Paulus“ vorbereitet, ein Hauptwerk von Mendelssohn-Bartholdy, das dieser 27-jährig nach zwei Jahren Arbeit 1836 vollendete. Ein Riesenerfolg vor fast zwei Jahrhunderten für den Komponisten, ein Riesenerfolg in der Jetztzeit für die Evangelische Kantorei und Karin Riegler nach dieser Darbietung.
Die Handlung des Oratoriums beginnt beim ersten Märtyrer des Neuen Testaments, Stephanus. Dessen Steinigung wird vom Pharisäer Saulus vorangetrieben. Schon bald gibt sich Gott dem grausamen jungen Mann zu erkennen, und dieser lässt sich nach der sogenannten „Vision von Damaskus“ taufen, verkündet als Paulus das Evangelium und stirbt schließlich selbst den Märtyrertod. Wobei Letzteres nicht im „Paulus“ von Mendelssohn-Bartholdy ausgeführt wird („sahen sein Angesicht nicht mehr“).
Auf die Sängerinnen und Sänger der Evangelischen Kantorei wartete eine Fülle anspruchsvoller Aufgaben. Von Kirchenliedern wie „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ oder dem thematisch immer wiederkehrenden „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, bis zum vielstimmigen und mächtigen Schlusssatz reichte die Bandbreite. Karin Riegler hatte ihre Sängerinnen und Sänger immer im Griff, akzentuiert und detailreich unter anderem in der großartigen Vision von Damaskus, oder scharf und schneidend wie in der Steinigung des Stephanus. Brillant ausgeführt auch der Schluss des ersten Teiles mit dem wuchtigen „O welch eine Tiefe“ um nach einer ganz kurzen Pause mit „Der Erdkreis ist nun des Herrn und seines Christ“ nicht minder großartig den zweiten Teil des Oratoriums einzuleiten. Die Evangelische Kantorei in absoluter Höchstform. Tenor Rüdiger Ballhorn überzeugte auf ganzer Linie in der Rolle des Stephanus und glänzte auch in den Rezitativen. Bass Daniel Blumenschein verlieh dem Paulus hochdramatische Szenen, unter anderem in der Wutrede gegen die Christen „Vertilge sie, Herr Zebaoth, wie Stoppeln vor dem Feuer“, vor dessen Bekehrung. Lokalmatadorin Radka Loudova-Remmler überwältigte ihre Zuhörer in Rezitativen wie in den Arien. Dramatisch in „Jerusalem! Die du tötest die Propheten“ ebenso wie in „und er ward wieder sehend und stand auf und ließ sich taufen“ wie auch nachdrücklich fordernd in „Fallt vor ihm nieder, ihr Stolzen“. Exzellent vorbereitet auch das Meininger Residenzorchester mit einer durchweg konzentrierten und immer in gelungener Abstimmung mit Chor und Solisten vorgebrachten Leistung.
Was kommt als nächstes?
Nach dem Schlusschor „Lobe den Herrn meine Seele“ der Kantorei und mehr als zwei Stunden intensivster Chor- und Orchestermusik dann der reiche Beifall mit stehenden Ovationen für Sänger wie Musiker, für die Solisten und besonders für Karin Riegler. Man darf gespannt sein, welches Werk als nächstes von der Evangelischen Kantorei einstudiert wird. Klein muss es nach diesem Paulus nicht wirklich sein.