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MELLRICHSTADT
MPG-Theater-AG schockt ihr Publikum mit drastischen Bildern einer Sinnsuche
Inszenierung von „Nichts“ am Martin-Pollich-Gymnasium: Der Berg der Bedeutung wächst und mit ihm das Ungemach der Schüler.
Foto: Stefan Kritzer | Inszenierung von „Nichts“ am Martin-Pollich-Gymnasium: Der Berg der Bedeutung wächst und mit ihm das Ungemach der Schüler.
Kritzer Stefan
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:54 Uhr

Ein Schüler begehrt auf und schließt sich selbst aus. Seine Schulklasse setzt alles daran, ihm die nihilistischen Faxen auszutreiben. Doch die Suche nach der Bedeutung des Lebens eskaliert und wird für die Siebtklässler zum lebensprägenden Ereignis. In einer eigens geschriebenen Theaterversion hat sich die Theater-AG des Martin-Pollich-Gymnasiums mit dem Buch „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller auseinandergesetzt und in ihrer Darstellung auf der Aulabühne übertroffen.

Der ungewöhnliche und umstrittene Jugendroman „Nichts“ der dänischen Autorin Janne Teller kommt nun auch auf die Theaterbühnen. Bevor das Staatstheater Meiningen höchstselbst den Stoff aufgreift, hat sich die Theater-AG einer Geschichte angenommen, die zunächst alltäglich, doch bald schon grausam grotesk erscheint. Die Schüler einer siebten Klasse warten auf den Beginn eines Schuljahres. Einer nach dem anderen steht auf und erzählt, was in Sachen Schule wichtig ist und was nicht. Dann kommt Pierre-Anthon (Janike Dombrowsky) an die Reihe und sagt: „Nichts hat eine Bedeutung!“ Mit dieser Aussage lässt er die verunsicherten Klassenkameraden zurück. Auf einem Pflaumenbaum findet er Asyl und boykottiert fortan alles, was mit Schule zu tun hat. Keine Chance für seine Mitschüler, ihn von seinem Schmollbaum herunterzuholen. Schließlich reißen Agnes (Mirjam Köberlein) und Sophie (Antonia Kritzer) ihre Schulkameraden mit einer irrwitzigen Idee mit. Sie wollen Anthon zeigen, dass ihr Leben trotz seiner Kürze dennoch eine Bedeutung hat.

Gespenstische Szenerie

Was folgt, ist für manche Zuschauer in der Aula des Gymnasiums nur schwer zu ertragen. In einer gespenstigen Szenerie sitzen die Schüler zusammen in einem alten Sägewerk und liefern ihre individuellen Kennzeichen der „Bedeutung“ ab. Die eine eine alte kaputte Puppe, die zweite ein paar Ohrringe aus Namibia, die Dritte ein paar Bücher, dazu noch ein Paar Sandalen. So weit, so gut, so harmlos. Doch dabei bleibt es nicht, es muss, wie es Agnes und Sophie und die anderen Schüler immer wieder fordern, ein „Viel an Bedeutung“ haben, damit man mit dem gesamten „Berg der Bedeutung“ Anthon von seinem Baum holen kann.

„Bedeutung steht für den durch ein Zeichen, ein Wort oder eine Aussage hervorgerufenen Wissenszusammenhang“, lautet die Definition einer Internet-Enzyklopädie. Die betreuenden Lehrerinnen Prisca Coste und Peggy Geßner haben mit Unterstützung einer Theaterpädagogin des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach die folgenden Szenen immer enger, immer drastischer, immer schonungsloser auf die Bühne gebracht. Bedeutung liefert ein Fahrrad im Kreis der Schüler. Doch der vom Verlust des Zweirades betroffene und tief gekränkte Junge (Arian Karahasan) verändert das Spiel, fordert ein Vielfaches mehr und bekommt die Unschuld von Sophie.

Ein Hundekopf folgt auf den Berg der Bedeutung, der auf dem Friedhof ausgegrabene Sarg eines kleinen Bruders auch. Bedeutung kennt jetzt keine Grenzen mehr im Leben der Schüler. Das Kreuz aus der Kirche? Na klar! Und den Zeigefinger des Gitarren spielenden Mitschülers (Jeanette Weber) gleich dazu. So kommt er zusammen, der vollendete und später medienwirksame inszenierte Berg der Bedeutung, den alle Welt als Skandal zwar verabscheut, dennoch aber mit Interesse verfolgt. Alle, bis auf Anthon, der die Kommerzialisierung des Bedeutungsberges nicht akzeptiert, für den dieser einfach auch keine Bedeutung hat.

Sophie und Agnes und die ganze Klasse verstehen Anthon nicht, und das Drama nimmt nun mit aller Wut und Zorn erst recht seinen Lauf.

Der Theater AG aus der Oberstufe ist es in diesem beängstigenden Spiel um die Findung eines Begriffes atmosphärisch dicht und düster gelungen, die Eskalation der Ereignisse in eine Stunde intensivsten Theaters zu bannen. Antonia Kritzer und Mirjam Köberlein hatten das Skript aus dem Roman entwickelt und diese beeindruckende Bühnenversion von „Nichts“ geschrieben. Nur ein Nötigstes an Requisiten und Licht, ein paar harte Rockfanfaren und dazwischen die Diskussionen der Schüler.

Wo sind die Grenzen?

Wie sehr sich Dinge verselbstständigen, wie schnell manches aus dem Ruder laufen kann, wo die Grenze dessen liegt, was in Ordnung ist und was nicht, das alles zeigt die Theatergruppe in dieser meisterhaften Schülerinszenierung, für die man allerdings starke Nerven braucht. In der Kürze des Stücks (ohne Pause), in der raschen Abfolge teils abscheulicher Taten (im Off) komprimieren die Darsteller eine Bedeutung aus dem Handeln junger Menschen heraus, die so alles andere als richtig sein kann.

Das Stück wird an diesem Samstag um 19.30 Uhr noch einmal in der Aula aufgeführt. Eintritt frei, Spende erbeten.

 
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