Eine Firma, die bemüht ist, der historischen Wahrheit gerecht zu werden, ist die Siemens AG, ihres Zeichens Mitbegründerin der Stiftung. Recherchen einer Historiker-Kommission erstrecken sich auch auf den Standort Neustadt. Immerhin 770 Menschen wurden hier zur Mitarbeit gezwungen, heißt es in einer Dokumentation, die das Siemens-Archiv jetzt vorgelegt hat (siehe nebenstehender Bericht).
Bei den Preh-Werken, dem zweiten großen Neustädter Industrie-Betrieb, wird Zwangsarbeit ebenso wenig bestritten. Unterlagen dazu gebe es jedoch im Firmen-Archiv nicht, so Sprecher Werner Baumann. Im Entschädigungs-Fonds sei Preh über die Muttergesellschaft Rheinmetall vertreten. In den Fonds sollen möglichst viele Firmen - zur Zeit sind es 1300 - einzahlen, um die von der Wirtschaft zugesagten fünf Milliarden Mark zu Gunsten der Überlebenden zusammenzubekommen.
Eine sechsstellige Summe hat die Mellrichstädter Firma Reich aufgebracht (wir berichteten). Geschäftsführer Karl-Hermann Reich sieht eine moralische Verantwortung für das Handeln seiner Vorfahren am früheren Firmensitz Zella-Mehlis.
Ebenfalls Stiftungs-Mitglied ist der Bad Neustädter Unternehmer Hermann Steinhardt. Der 79-Jährige, Gründer von RST-Stahlbau und heute Chef von HST in Schweinfurt, braucht für seine Firmen keine Verantwortung in Sachen Zwangsarbeit zu übernehmen - die Betriebe hat es damals noch nicht gegeben. Trotzdem hält er die Entschädigung der Zwangsarbeiter für die "moralische Pflicht der Älteren". Steinhardt wurde als Flieger nach dem Krieg von den Amerikanern in Dachau interniert. "Dort haben sie mir die Augen in Sachen Nazi-Terror geöffnet. Seitdem fühle ich mich verantwortlich." Seine 1000 Mark Beitrag verstehe er als Appell auch an andere, sich der Geschichte zu stellen.
Wie viele Zwangsarbeiter hierzulande in der Landwirtschaft tätig waren, ist unerforscht. Tatsache ist, dass sie ähnlich hart wie in der Industrie arbeiten mussten, es um ihre Versorgung aber besser bestellt war. Niemand habe hungern müssen. Kurt Baer (Ottelmannshausen) erinnert sich, wie er als Kind von einem polnischen Kindermädchen betreut wurde. "Da bestand enger Kontakt." Bis zu zehn Fremdarbeiter seien auf dem elterlichen Hof gewesen. Eine Polin, die als Kind mit ihren Eltern zur Zwangsarbeit in Ottelmannshausen war, sei später mit ihrer Familie mehrfach zum Rübenhacken wiedergekommen.
Angestoßen durch die Main-Post-Nachfrage hat Dr. Ludwig Benkert derweil Meldebögen von 1944 im Stadtarchiv entdeckt. Darin ist von Franzosen, Belgiern, Holländern und Letten die Rede, die gezielt als Fachleute geholt wurden, um Neustädter Männer zu ersetzen, die an die Front mussten. Da geht's um Spezial-Arbeiten bei Preh, Siemens oder den Emaillier-Werken, aber auch um einen Fahrradhändler und einen Konditor für ein verwaistes Café. Die Bögen enthalten zudem Angaben zu Wohn-Baracken und Lagern in der Meininger Straße unweit der heutigen Sparkasse, in der heutigen Siemensstraße oder im Bildhäuser Hof.