Neugierig, was aus der Idee „Naturnaher Garten“ nach fast 25 Jahren geworden ist, lenkt unsere Reporterin ihre Schritte in den Schlehenweg. Dort leben Marianne und Vilmar Herden, und jeder, der sie kennt, weiß: Die beiden sind Gärtner mit Leib und Seele. Kein einziges Wort ist notwendig, um zu erfahren, dass sich daran bis heute nichts geändert hat – die prachtvollen Päonien-Blüten verraten es sofort.
Sie füllen mit ihrer Zartheit und Fülle zugleich sowie mit ihren malerischen Rosatönen das Bild der ganzen Straßenseite. Manche Kamera wurde bei diesem überwältigenden Anblick schon gezückt, damit wenigstens ein Foto diese Schönheit über das Verwelken hinaus retten kann.
Entdeckt haben Herdens diese chinesische Pfingstrosenart im Botanischen Garten von Cambridge. Sie verträgt sich hervorragend mit der typisch deutschen Margeritenwiese und hat hier ein optimales Zuhause gefunden – wie so viele andere Pflanzen auch, die von der Reiseleidenschaft der Herdens erzählen. Da finden sich Stockrosen, die als Samen von Rügen aus den Weg zum Grasberg nahmen, eine Albertina-Rose aus Bad Neustadts englischer Partnerstadt Pershore, österreichische Käferbohnen und Giersch, der häufig als Unkraut bekämpft wird. Herdens aber lernten in Schweden dazu und schlossen Frieden mit der Heilpflanze.
Estragon für Armenier
Umgekehrt kommt dieser weltoffene Garten jetzt Menschen von weit her zugute. Asylbewerber aus Armenien sind total begeistert, dass hier Estragon wächst, den sie sich holen dürfen. Denn: Eier schmecken ihnen am besten mit Estragon.
Alle miteinander, ob Kräuter, Nutz- oder Zierpflanzen, gedeihen prächtig unter dem grünen Daumen von Marianne und Vilmar Herden, die für ihren Garten kein „ordentliches“ System haben, sondern die Plätze für ihre Gewächse so aussuchen, dass im Gesamtbild immer irgendetwas blüht.
Als sie ihr Haus 1973 bezogen, legten sie Johannisbeersträucher auf der Grundstücksgrenze an. Später stellte sich heraus, dass die Grenze weiter draußen lag, die Johannisbeeren durften bleiben. Wie sehr auch ein Hausgarten Natur pur bieten kann, beweisen wohl vor allem die uralten Efeustöcke, die das Heim der Herdens mit ihren knorrigen Ästen umranken und eingrünen. Dort finden Vögel wie Zilpzalp oder Grünfink Schutz und reichlich Insekten-Nahrung, dort darf sich das natürliche System voll entfalten. Fledermäuse sind willkommene Gäste. Das Lungenkraut ist eine Bienenweide, die Eidechsen sonnen sich in der Mauer-Bepflanzung und den Nistkasten im Nussbaum hat sogar mal ein scheues Wendehalspaar bezogen.
Selbstverständlich finden sich in diesem Garten auch Nutzpflanzen, prächtige Salatblätter gedeihen in einem Hochbeet, Tomaten lehnen sich an die Giebelseite an. Auch der rückwärtige Hang trägt diese unverwechselbare Gärtner-Handschrift: Die Wiese blüht wie im freien Feld, nur ein schmaler Lauf-Pfad ist gemäht. Alle Garten-Abfälle werden in einer Ecke kompostiert und haben beinahe die Höhe der Grenzpfähle erreicht. Künstlicher Dünger wird hier natürlich keiner verwendet, ebenso wenig wie chemische Spritzmittel. Schmeckt eine Fuchsie (wie überall) den Läusen gar zu gut, wird ein Teil von Menschenhand zerrieben, den anderen Teil dürfen sich die Vögel holen, und wenn?s gar nicht anders geht, ist eben die Gartenschere dran.
Marianne und Vilmar Herden leben mit ihren über 70 Jahren leidenschaftlich gern in und mit ihrem Garten und kennen jedes ihrer „Kinder“ beim Namen. Stinkende Nieswurz (botanisch Helleborus foetidus), im Volksmund auch als palmblättrige Nieswurz bezeichnet, ist nur ein Beispiel dafür, wie kompliziert es dabei mitunter zugeht.
Natürlich wissen die beiden Gärtner auch um die Eigenschaften ihrer Kinder. Von der stinkenden Nieswurz ist ihnen sogar etwas ganz Interessantes bekannt: Sie wird als Wärmestube von den Hummeln benutzt, da die Innentemperatur der Blüte bis zu sechs Grad über der Temperatur der Umgebung liegen kann.
Damals, vor über 20 Jahren, entschied die Jury des Wettbewerbs „Naturnaher Garten“, durchgeführt vom Bund Naturschutz in Zusammenarbeit mit dieser Zeitung, dass Herdens mit ihrer unkonventionellen Art den zweiten Platz verdient hätten. Wäre heute eine Kommission unterwegs, sie würde sich genauso überzeugen lassen.
Gartenserie zum Jubiläum des Bund Naturschutz
Der naturnahe Garten war vor über 20 Jahren ein Thema, das der Bund Naturschutz in der Region ins allgemeine Bewusstsein bringen wollte. Deshalb startete er in Zusammenarbeit mit dieser Zeitung einen Wettbewerb, bei dem die schönsten naturnahen Gärten ausgezeichnet wurden. Da der Bund Naturschutz im Juni 25-jähriges Bestehen feiert, bot es sich an, nachzuschauen, was aus seinem großen Anliegen „Naturnaher Garten“ geworden ist. Von den über 20 Gartenparadiesen, die damals teilnahmen, haben wir einige der Preisträger besucht und festgestellt: Auch wenn sich der Garten ständig im Wandel befindet, hat die naturnahe Grundidee ein langes Leben. new