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MELLRICHSTADT
Mellrichstadt bekommt eine "Udo-Lindenberg-Mittelschule"
ahw
 |  aktualisiert: 25.09.2015 15:33 Uhr

Die jüngste Sitzung des Schulverbands Mittelschule in Mellrichstadt gestaltete sich in mehrfacher Hinsicht als eine außergewöhnliche Zusammenkunft und begann vergangenen Montag gleich im ersten Tagesordnungspunkt mit einem Paukenschlag. „Wir beabsichtigen unserer Schule den Namen ,Udo-Lindenberg-Schule‘ zu geben“, teilte Achim Libischer, seit August neuer Konrektor der Mittelschule, dem Verbandsgremium eine kleine Sensation mit.

Bürgermeister und Verbandsvorsitzender Eberhard Streit hatte Libischer, Ideengeber und Konzeptautor, gleich zu Beginn das Wort übergeben. „Bei der diesjährigen Bewerbung um den Titel ,Inklusionsschule‘ sind die Verantwortlichen der Mittelschule erneut auf die Tatsache gestoßen, dass die Schule noch keinen Namen besitzt. Wir sind der Auffassung, dass es an der Zeit ist dies zu ändern“, so der Konrektor. Weshalb ausgerechnet ein Rockmusiker aus Berlin Namensgeber und damit Leitfigur für Schüler einer Mittelschule in Mellrichstadt werden soll, machte Libischer in seinem außergewöhnlichen Plädoyer mit Lindenberg-Songs und Bildern deutlich.

Den Titel „Inklusionsschule“ erhalten Schulen, die eine hohe Anzahl an Schülern mit erhöhtem Bedarf an Förderung haben. 2014 habe sich die Mellrichstädter Mittelschule zwar noch erfolglos um diesen Titel beworben, seit August dieses Jahres darf sie sich nun Inklusionsschule nennen. Im Rahmen dieser Bewerbung haben die Verantwortlichen ihre pädagogischen Ziele formulieren müssen. Dabei sei das Fehlen einer Leitfigur, die den „Geist der Schule widerspiegelt“, immer wieder thematisiert worden.

„Kriterium war es für uns jemanden zu finden, zu dem ein Bezug zu den Schülern, zu deren Lebenswelt und aktuellen Themen hergestellt werden kann. Es sollte eine Person sein, die Denkanstöße und Lösungsvorschläge im Jetzt liefert und nicht vor hunderten Jahren Großes geleistet hat“, so Libischer bei der Konzeptvorstellung.

Die Schule in Mellrichstadt habe sich in den letzten Jahren zunehmend verändert. Die Schülerschaft sei heterogener geworden, die Kinder bringen unterschiedliche kognitive Fähigkeiten mit und kommen aus verschiedenen Kulturkreisen. Aktuell werden die 11- bis 16-jährigen Asylbewerber-Kinder komplett auf die Mittelschulen verteilt, so dass die Mischung immer bunter werde. Dies erfordere von Lehrern und Schülern ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit, Flexibilität und Toleranz.

Udo Lindenberg sei eine Person, die diese Werte seit über vier Jahrzehnten verkörpere, die sich stark mache für Toleranz, Integration und die Rechte von Minderheiten, die sich einsetze für Frieden und mehr Menschlichkeit. Als Lindenberg 1973 seine Platte Andrea Doria veröffentlicht habe, habe er die deutsche Musik revolutioniert. Er nutzte dieses Genre, um soziale und politische Themen aufzugreifen. Diesbezüglich sei er Pionier: Es ging plötzlich um Umweltzerstörung, um das Wettrüsten während des Kalten Krieges, um ungerechte Verteilung auf den Norden und Süden der Erdhalbkugel, um Rechtsradikalismus und Homosexualität. Anfang der 1970er Jahre war eine Wiedervereinigung noch völlige Utopie. Dennoch habe Lindenberg diese Thema immer wieder aufgegriffen und dafür gesorgt, dass die Teilung Deutschlands als Momentaufnahme gesehen wurde und nicht als etwas Bleibendes.

In Würdigung seiner Verdienste um die deutsch-deutsche Aussöhnung erhielt er 1989 sogar das Bundesverdienstkreuz.

„Wo unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Ländern aufeinandertreffen, gibt es auch Probleme“, räumt Libischer ein. Im vergangenen Jahr kamen bereits 15 Flüchtlingskinder an die Mittelschule. Noch in diesem Jahr sollen 50 Kinder von Asylsuchenden hinzukommen. „Schon jetzt erleben wir hier Kinder, die sich stark fühlen, wenn sie auf Personen treffen, die in ihren Augen gesellschaftlich unter ihnen stehen und dies überdeutlich artikulieren.“ Der stellvertretende Schulleiter ist überzeugt, dass sich dieses Problem in den nächsten Monaten noch verschärfen wird. „Nicht alle Schüler haben die Willkommenskultur verinnerlicht.“

Hier könne Lindenberg als Vorbild dienen, da er sich seit Jahrzehnten massiv gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit einsetze. Denn Lindenbergs Vision sei immer schon eine „bunte Republik Deutschland“ gewesen. Dies zeigten seine Liedtexte, aber auch die lange Liste an Sozialprojekten, Stiftungen, humanitären Initiativen und Events, die er ins Leben gerufen hat oder unterstützt.

Libischer zählte die wichtigsten auf: Konzertreihe „Rock gegen rechte Gewalt“, Initiative „Exit“, die Jugendlichen hilft aus der rechten Szene auszusteigen, Schul- und Waisenhausbauprojekte in Kenia, ein Aids-Projekt in Südafrika und viele mehr.

In Linderbergs Liedern und seinen Aktivitäten stehe die Aufforderung an sich selbst zu glauben, sich nicht hängen zu lassen und die eigenen Grenzen auszuloten, immer im Zentrum; nach dem Motto „Mach dein Ding“, so der Titel seines Songs . Dieses Motto will die Schule in den Mittelpunkt stellen. Libischer betonte: „Wir wollen unseren Schülern dabei helfen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ihren Weg zu gehen und individuell zu sein. Wir möchten den Kindern begreiflich machen, dass es sich lohnt für Dinge einzustehen und dass es im Leben wichtig ist, eine Meinung zu besitzen und diese zu vertreten.“

Udo Lindenberg sei ein Kämpfer, eine Visionär und eine herausragende Persönlichkeit. Wenn die Schule ihn als Namensgeber wähle, dann gehe es nicht um einen Sänger, sondern in erster Linie um eine Lebenseinstellung. Lindenberg sei integer genug für eine Leitfigur. „Eine Udo-Lindenberg-Schule als Signal für Toleranz, Integration und Individualität - für die Mittelschule, für Mellrichstadt und für die Region“, so Libischers Schlussplädoyer, das mit großem Beifall der Verbandsmitglieder und des ebenfalls anwesenden Lehrerkollegiums bedacht wurde.

Achim Libischer informierte, dass die Mellrichstädter Mittelschule damit Neuland betreten wird. Es gebe deutschlandweit keine Udo Lindenberg Schule und das Lehrerkollegium in Mellrichstadt sei der Überzeugung, dass die Zeit dafür reif ist. Er und Schulleiter Egon Bauß haben Udo Lindenberg inzwischen getroffen. Lindenberg, der sich sehr gehrt fühlt, hat sein Okay gegeben und dies bereits in schriftlicher Form bekundet. Auch die SMV ist schon informiert worden und befürwortet das Vorhaben. Der Regierung Unterfrankens sei das Konzept „Umbenennung der Mittelschule Mellrichstadt in Udo-Lindenberg-Schule“ bereits vorgestellt worden.

Sie hat noch nicht endgültig entscheiden können, aber schon eine Bewilligung des Antrags signalisiert.

Bürgermeister Streit hatte schon zu Sitzungsbeginn erläutert, dass die Schule eine Verbandsschule ist, die nicht an den Standort geknüpft sei. Hier werde der Name eines Ehrenbürgers oder anderen Persönlichkeit der Stadt der Schule nicht gerecht. Vielmehr müsse über den Tellerrand hinaus geschaut werden und die namensgebende Person näher an der Zielgruppe sein. Dies sei in vorliegendem Konzept gegeben. Wie Libischer ergänzte, seien deshalb auch die Vorschläge der SPD-Stadtratsfraktion, „Martin Pollich“ oder „Nathan Stern“ als Namensgeber zu wählen, nicht geeignet. „Weiter weg von den Schülern unserer Schule kann man nicht sein. Dann können wir die Namensgebung auch bleiben lassen“, merkte er kritisch an. Die Verbandsmitglieder Matthias Liebst Steffen Malzer und Anja Seifert sprachen für das Vorhaben aus, Ulrich Waldsachs bezeichnete es als ein gutes Signal und Eva Kalla nannte es eine Chance für die Mittelschule aus dem Schatten des Martin-Pollich-Gymnasiums herauszutreten. Auch Schulleiter Bauß dankte anschließend dem Ideengeber für seine engagierte Arbeit.

Er sei von Libischers Idee begeistert, zumal er vieles schon im Vorfeld ins Reine gebracht habe. Nach diesen positiven Diskussionsbeiträgen verwunderte das Abstimmungsergebnis nicht. Der Schulverband sprach sich einstimmig für eine Udo-Lindenberg-Mittelschule aus. Die Kosten für ein entsprechendes Wandbild mit dem Lindenberg-Motiv, für einen neuen Schriftzug am Eingang und einer Imagekampagne betragen rund 12.000 Euro, die auf die Schulverbandsgemeinden aufgeteilt werden. Damit ist nun die schwierigste Hürde genommen, so Streit, es fehlt jetzt nur noch die endgültige Genehmigung der unterfränkischen Regierung für die Namensgebung „Udo-Lindenberg-Mittelschule“ in Mellrichstadt.

 
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Kommentare
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  • belissimo
    Das finde ich total gut. Es ist wohl sehr mutig aber Udo Lindenberg ist sicher ein Vorbild in Sachen "Mach dein Ding". Ich ziehe meinen Hut vor den Schulverbandsmitgliedern.
    Nun ist alles klar auf der Mellrichstädter Andrea Doria.
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